Ein Gespräch mit Christoph Brech über seine Videoarbeit „Alpensymphonie“,
die Wahrnehmung von Zeit und ein neues Buch.
“Alpensinfonie im Diözesanmuseum”, am Do. 24. Oktober 2019 | 19 Uhr
Der Künstler Christoph Brech war schon mehrfach im Diözesanmuseum zu Gast, dieses Mal bringt er eins seiner spektakulärsten Videoprojekte mit – die „Alpensymphonie“– und stellt gemeinsam mit dem Museumsteam ein neues Buch vor.
In seiner thematisiert Richard Strauss’ eine Bergwanderung, bei der er selbst in ein Gewitter gekommen ist. Eine einschneidende Erfahrung und anscheinend hat Strauss den Weg, der auf den Gipfel und wieder zurückführt führte, auch als Darstellung eines menschlichen Lebens betrachtet. Dabei soll ihn Friedrich Nietzsches Werk „Also sprach Zarathustra“ beeinflusst haben.
Herr Brech, wie kam es, dass Sie dieses Thema aufgegriffen haben?
Ich bin vor ein paar Jahren vom Landesjugendsinfonieorchester Hessen eingeladen worden, die „Alpensymphonie“ bei deren Jubiläumskonzert zum 40-jährigen Bestehen mit einem Video zu begleiten. Anfangs reizte mich die Idee nicht besonders, ich kannte das Stück auch nicht gut. Ich habe dann aber im Internet nach Bildern und Videos zur „Alpensymphonie“ gesucht und sah, dass immer auf die gleichen Motive zurückgegriffen wurde. Fast jeder orientierte sich an den Titeln der einzelnen Abschnitte dieser Tondichtung, die sich auf eine Bergwanderung beziehen. Alle haben also Fotos und Videoaufnahmen gemacht vom Sonnenaufgang in den Bergen, vom Aufstieg, dem Gipfel, dem Abstieg, dem Sonnenuntergang, usw.. Ich sehe darin eine Reduzierung der Musik, eine Rückholung der Musik aus ihrer teils sehr abstrakten Form. Ich dachte, das kann man Strauss doch nicht zumuten, dass man sein Werk auf naturalistische Bilder beschränkt. Das war dann mein Impuls doch etwas zur „Alpensymphonie“ zu entwickeln. Ich habe das komplette Projekt auf die Bühne verlegt und analog zu Strauss‘ Bergwanderung einen korrespondierenden Drahtseilspaziergang inszeniert, damit wollte ich Bilder finden, die allgemeingültiger sind als naturbezogenen Fotografien.
Wie sind Sie denn gerade auf das Bild des Seiltänzers gekommen?
Das war relativ schnell da, weil Strauss ein großer Verehrer von Nietsche war. Bei Nitsche kommt der Seiltänzer häufiger vor, auch in „Also sprach Zarathustra“. Der Seiltänzer spielt quasi die Hauptrolle: „Der Mensch ist ein Seil, geknüpft zwischen Tier und Übermensch – ein Seil über einem Abgrunde“. Er begibt sich also in die Gefahr abzustürzen, und nur dann ist er ein wahrer Mensch, wenn er etwas wagt, etwas riskiert und nicht einfach sein sicheres bürgerliches Leben weiterführt. Weil Strauss ganz nahe bei Nietsche war, fand ich das Bild treffend für die „Alpensymphonie“, zumal es auch hier einen Auf- und einen Abstieg gibt und man parallele Bilder finden kann. Da ich diese Bilder aber auf der Bühne aufgenommen habe, wurden sie abstrakt. Es gibt keinen natürlichen Umraum, das Bergklischee fällt weg, dadurch, so denke ich, wird die Musik anders hörbar, herausgelöst aus alten Klischees.
Der Seiltänzer ist auch auf der Startseite Ihrer Homepage zu sehen. In einer Super-Zeitlupe bewegt er sich voran. Ein künstlerisches Mittel, dass Sie häufiger einsetzen. Welche Bedeutung hat Zeit und auch die Verlangsamung von Zeit in Ihrer Arbeit, für Sie selbst?
Wir haben für die „Alpensymphonie“ mit 100 Bildern pro Sekunde gefilmt, anstelle von 25, wie es normalerweise gemacht wird. So konnten wir Bewegungen sehr verlangsamen, ohne dass sie ruckelig wurden – rein technisch gesehen. Auch der Seiltänzer – ein „Wire-Walker“ –, der sonst beispielsweise über ein Seil läuft, das von Kirchturm zu Kirchturm gespannt ist, bewegte sich manchmal sehr langsam. Besonders an der Stelle „Auf dem Gletscher“, da führte er ein Kunststück aus, in extremer Langsamkeit, das hat ihm viel abverlangt, und es war grandios, wie er das gemeistert hat, ohne Netz, also ohne abgesichert zu sein. Für „Auf dem Gletscher“ fand ich diese Langsamkeit besonders eindrücklich, dieses langsamer werden wenn es eiskalt ist, fast bis zum Erstarren.
In dem speziellen Fall der „Alpensinfonie“ war das Mittel der starken Zeitlupe der Vorlage geschuldet. Jetzt sagen Sie, ich mache das öfter, das stimmt, weil ich denke, wenn wir immer so ‚schnell schauen‘, wie wir das normalerweise tun, dann übersehen wir leicht etwas. Wenn ich ein bisschen von der Geschwindigkeit rausnehme, dann hilft es unserem Auge, unserem Hirn, zu kapieren, was wirklich vor sich geht. Meistens nehme ich nur wenig Tempo weg, das reicht schon, oder ich filme überhaupt etwas Langsames, damit man das, was man sieht, anders begreifen kann.
Auch in dem neuen Buch spielt die Zeit eine große Rolle. Es heißt von „Korrespondenzen und Zeitschichten“. Können Sie uns etwas zum Inhalt und zur Entstehung erzählen?
Das Buch besteht aus einem Gespräch, das der Philosoph Rüdiger Safranski und ich 2017, in der Paderborner Ausstellung MORE THAN ROME, geführt haben. Wir sind dabei durch das Diözesanmuseum gegangen, haben uns über einige meiner Arbeiten, deren Beziehungen zueinander und zu den Exponaten der Museumssammlung unterhalten. Es ging um die Wirkung, die diese Exponate auf die Besucher haben und darum, welche Geflechte entstehen können, wenn man so ein offenes Haus hat wie dieses hier. Das meine ich im übertragenen und im wörtlichen Sinne, weil man teilweise von Ebene zu Ebene schauen kann und ungewöhnliche Blickachsen entstehen. Das ist sehr spannend. Rüdiger Safranski und ich haben uns einen Roten Faden durch die Ausstellung gesucht, an dem klar wurde, was ich wollte und was auch Erstseher dieser Ausstellung – wie Safranski es an diesem Abend war – sich dabei denken könnten. In diesem Gedankenaustausch ging es auch immer wieder um Zeit, Zeitpunkte, Zeitspannen, Zeitlosigkeit … Dieses Gespräch wurde mitgeschnitten und liegt jetzt in Buchform vor, mit sehr schönen Fotografien von der bekannten Fotografin Barbara Klemm.
Was erwartet die Besucher bei der Veranstaltung im Diözesanmuseum? Wie ist die „Alpensymphonie“ dort zu erleben? Ursprünglich haben Sie das Musikstück ja live bei einem Konzert begleitet.
Es gibt meinen Videofilm zur „Alpensymphonie“ auch als Konserve. Ein Orchester mit über 120 Musikern könnte im Museum ja nicht spielen, weil sie keinen Platz finden würden. Wir werden das 50-minütige Video zeigen und ich erläutere vorab meine Gedanken dazu. Ich möchte auch über die Zusammenarbeit mit dem Seiltänzer sprechen, der in meinem Film zuerst Kind war, dann Jugendlicher und schließlich zum alten Mann wird. Vielleicht werden anschließend Fragen gestellt und es kommt zu einem Gespräch mit dem Publikum. Danach stellen wir das Buch vor und natürlich signiere ich es gerne.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Brech!
25. Oktober 2019: Unser neues, kleinformatiges Buch ist ein bibliophiles Kleinod geworden. Am 24. Oktober haben wir es gemeinsam mit Christoph Brech und im Anschluss an die Vorführung der “Alpensinfonie” vorgestellt. “Von Korrespondenzen und Zeitschichten” fasst einen Dialog zwischen dem Philosophen Rüdiger Safranski und dem Künstler Christoph Brech zusammen. Die eindrücklichen Schwarz-Weiß-Bilder stammen von Barbara Klemm, einer “Grande Dame” der Fotografie. Erschienen ist es im Michael Imhof Verlag und zum Preis von 11,50 Euro bei uns im Museum erhältlich.