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Prof. Dr. Christoph Stiegemann vor der Beweinung Christi. , um 1612, Vaduz-Vienna, LIECHTENSTEIN, The Princely Collections © Diözesanmuseum Paderborn/Besim Mazhiqi
Prof. Dr. Christoph Stiegemann vor der Beweinung Christi. , um 1612, Vaduz-Vienna, LIECHTENSTEIN, The Princely Collections © Diözesanmuseum Paderborn/Besim Mazhiqi
Prof. Dr. Christoph Stiegemann vor Peter Paul Rubens “Beweinung Christi” , um 1612, Vaduz-Vienna, LIECHTENSTEIN, The Princely Collections © Diözesanmuseum Paderborn/Besim Mazhiqi
Ein Gespräch mit Museumsdirektor Christoph Stiegemann über Kunst im Barock, große Gefühle, starke Influencer, inszenierte Kommunikation und politisches Kalkül.
Sie haben zu einem Barock-Thema promoviert und Ihre letzte Ausstellung als Direktor des Diözesanmuseums Paderborn widmet sich ebenfalls dieser Epoche.
Was fasziniert Sie an dieser Zeit?

Das Thema ist unheimlich spannend und hat eine ganz eigene Aktualität. Die Epoche ist gezeichnet von Katastrophen, Seuchen, Kriegen und Verwerfungen in der Auseinandersetzung der Konfessionen. Anders als die Renaissance, die sich der Wirklichkeit mit unglaublichem Optimismus zuwendet, schwingt im Barock ein pessimistischerer Ton mit. Hier ist die Flüchtigkeit der Zeit eine elementare Erfahrung. Man versucht jetzt das Erlebnis zu steigern, im Augenblick zu leben, dieses carpe diem, grundiert von einer dunklen Tonlage. Darin besteht, denke ich, die unmittelbare Aktualität. Wir haben das in diesem Jahr mit Corona erlebt, dass auf einmal dieser das öffentliche Leben kollabierte, alles ruhte, alles stagnierte.

Wissenschaftlich habe ich mich mit den Themen dieser Epoche in meiner Dissertation über Heinrich Gröninger und die Skulptur zwischen Spätgotik und Barock* beschäftigt. In Gröningers großartigem Grabdenkmal für Dietrich von Fürstenberg wird schon das Thema des Werdens und Vergehens aufgerufen. Dieses Spannungsfeld hat mich ganz nachhaltig geprägt und fasziniert. Und quasi auf der Zielgeraden, zum Ende meiner Zeit als Direktor des Diözesanmuseums Paderborn, kann ich thematisch einen Bogen schlagen,  mit der Ausstellung „Peter Paul Rubens und der Barock im Norden“. Das ist wunderbar.

„Barock ist eine Kommunikationsform“, schreiben die Autoren einer Forschungsgruppe der Universität Paderborn im Ausstellungskatalog. Welche Art der Kommunikation ist gemeint?

In unserer Ausstellung zeigen wir den Barock als Reaktion auf die Reformation, in seiner katholischen Ausrichtung. In dieser Zeit wird die Wirkkraft des Bildes gegen die Macht des Wortes gestellt. Die Werke dieser Epoche vermögen die Menschen auf eine völlig neue Art zu beeinflussen und zu prägen. Auch die Kirchenräume werden neu gestaltet, sie werden inszeniert. Durch die Barockisierung und das perspektivische Gitter im Paderborner Dom können die Menschen jetzt den Raum als Ganzes erfassen. Das setzt einen Betrachterstandpunkt voraus, wie in unserer modernen, medialen Auffassung. Das ist radikal neu und verbindet sich mit der barocken Grundausrichtung der Kunst, die den Betrachter bewegen will. Emotionale Bindung und ‚Überwältigung‘ sind ganz entscheidende Größen. Man inszeniert in der Gegenreformation auch – beispielsweise zu Ostern – die heiligen Gräber wie Bühnenbilder. Sie werden indirekt beleuchtet und strahlen eine enorme Faszination aus. So bringt man die Menschen wieder in die Kirchen. Hier in Paderborn, in der Jesuitenkirche, werden dann Kirchenbänke aufgestellt, um die Verweildauer zu erhöhen. Auch das ist neu, bisher ging man ambulant von Altar zu Altar und hat den Raum nie als Ganzes erlebt.

Peter Paul Rubens: Das Martyrium der hl. Lucia, um 1610/1620, Quimper, Musée des Beaux-Arts de Quimper © bpk / RMN-Grand Palais / Mathieu Rabeau
Peter Paul Rubens: Das Martyrium der hl. Lucia, um 1610/1620, Quimper, Musée des Beaux-Arts de Quimper © bpk / RMN-Grand Palais / Mathieu Rabeau

Ein Meister barocker Überwältigung war Peter Paul Rubens. Das macht die Dynamik seiner Figuren-Kompositionen ebenso deutlich wie die Dramatik der Darstellung, etwa in seinem Modello „Martyrium der heiligen Lucia“: Rubens zeigt den Todesstoß der an den Pfahl angebundenen Lucia, bei dem der Henker in einer unglaublichen Bewegung quasi optisch aus dem Bild herausspringt und im nämlichen Moment mit der Rechten zurück stößt, in den Hals der Märtyrerin. Das sind diese absolut bewegenden, packenden Bildprinzipien, und Rubens ist eben der erste, der das in dieser bis dato nie gesehenen Form entwickelt, mit einer Lebendigkeit, einer Freiheit, einer Dynamik und aus der Farbe geboren – das ist eine völlig neue Kategorie.

Rubens war der Malerstar seiner Zeit. Er war bekannt, einflussreich, wohlhabend. Wie hat er das erreicht?

Er ist einer der ersten großen selbstbewussten Künstler nördlich der Alpen und organisiert einen riesigen Atelierbetrieb. Da bringt er seine Ideen, die er in den Modelli, den kleinen Skizzen festhält, erstmal auf Holztafeln und sie werden in gigantische Formate übersetzt. Rubens weiß seine Truppe zu steuern und prägt quasi das Label ‚Peter Paul Rubens‘. Er ist als Influencer auf dem allerneusten Stand. Die Kompositionen, die er malt, lässt er durch Bravourstecher in Grafiken umsetzen, und die Abzüge werden vom Meister autorisiert. Der Kupferstich wird so zum Instrument der Profilierung und weltweiten Verbreitung. Heute wäre das der Computer, das Internet.

Kupferstich: Jacob Matham nach Peter Paul Rubens: Samson und Delila, verm. um 1613, Kupferstich, Siegerlandmuseum, Foto: Siegen, Siegerlandmuseum im Oberen Schloss
Kupferstich: Jacob Matham nach Peter Paul Rubens: Samson und Delila, verm. um 1613, Kupferstich, Siegerlandmuseum,
Foto: Siegen, Siegerlandmuseum im Oberen Schloss

Rubens neuartige Bildsprache wird überall verstanden, und über die grafischen Vorlagen verbreiten sich seine Motive. Sie werden kompiliert und neu komponiert. Das sehen wir auch bei den Brüdern Willemssens in Paderborn. Antonius, der Maler, entnimmt einer solchen Vorlage zum Beispiel die kniende Hirtin – aus einer „Anbetung der Hirten“. Die baut er dann groß in sein Paderborner Altargemälde ein. Die Bildhauer machen es nicht anders. Sie haben die Vorlagen von Rubens dabei und entwickeln daraus ihre eigenen Kompositionen. Das ist neu, und das zeigt unsere Ausstellung, die ja fragt: Wie hat sich der Barock im Norden ausgebreitet und auf welche Weise hat Rubens diese Entwicklung geprägt?

Wir haben über den Barock mit seiner Wirkweise und als Kommunikationsform gesprochen, wie sieht es mit seiner politischen Dimension aus? Eine Kunst mit so machtvollen Bildern muss damals auch eine scharfe Waffe gewesen sein. Wie hat man die genutzt?

Die politische Dimension ist ein ganz wichtiger Aspekt, denn die Kunst des Barock, wie Rubens und sein Umfeld, wie Antwerpen sie geprägt haben, ist eine Stimme der katholischen Reform, der Gegenreformation. Die Konfessionen stehen sich in harten Auseinandersetzungen gegenüber. Das sehen wir auch in Paderborn: Am Ende des Dreißigjährigen Krieges ist die Existenz des geistlichen Fürstentums, in dem der Bischof zugleich Landesherr war, eigentlich zu Ende. In den Friedensverhandlungen wird beschlossen, Paderborn zu säkularisieren und es soll in Teilen an Hessen fallen. Das Paderborner Domkapitel schickt eine Petition an den französischen König und bekommt wirklich einen Schutzbrief von König Ludwig XIV. Die aufstrebende europäische Großmacht sichert die Existenz des Fürstbistums. Nach furchtbaren Verheerungen – noch 1636 hat der zweite Ausbruch der Pest allein in der Marktpfarrei 450 Tote gefordert – ist man wieder wer. Das muss gezeigt werden! Mit ‚Bordmitteln‘ geht das nicht, es muss Input von außen her. So wird zunächst der Jesuit Paul Bock aus dem Süden nach Paderborn geholt und er entwickelt das perspektivische Gitter für den Dom. Bock hat wohl auch die Brüder Willemssens aus Antwerpen empfohlen. Sie arbeiten sechs Jahre lang in Paderborn, und es entsteht eine solch enorme Dynamik, dass es ausreicht, um hier die Kunst zu revolutionieren. Bildhauer und Maler werden ausgebildet, gehen in die Nachbarterritorien, und der flämisch geprägte Barock tritt seinen Siegeszug durch die geistlichen Territorien des Nordens an.

Und was hat diese neue, barocke Üppigkeit mit den Menschen im Norden gemacht?
Perspektivisches Gitter aus der Barock-Zeit, Paderborner Dom, Foto: DiözesanmuseumPaderborn
Perspektivisches Gitter aus der Barock-Zeit, Paderborner Dom, Foto: DiözesanmuseumPaderborn

Das, was der Barock beabsichtigt. Er bringt die Menschen in eine andere Verfassung, holt sie aus ihrer Alltagswahrnehmung heraus. Kam man damals in den Dom, um den neuen Aufbau mit dem fulminanten Chorgitter zu sehen, – besetzt mit einer Vielzahl von Kerzen – dann war das großes Theater. Diese inszenatorischen Mittel zur Überwältigung der Gläubigen wurden ganz bewusst eingesetzt. Steht man im Mittelschiff, sieht man die Altar-Trias und der ganze Raum wird fokussiert auf den Hochaltar. Die Tiefenlinien des perspektivischen Gitters scheinen auf den Altar hinzuführen und zugleich trennt das Chorgitter den heiligen Bezirk vom Langhaus. Das Heilige bleibt unverfügbar, die große Mitteltreppe bleibt den Domherren vorbehalten. Da sind die Hierarchien im Sinne des Früh-Absolutismus klar gesetzt. Hier ist man nicht selbstbestimmt. Die katholische Reform setzt die Mittel des Barock suggestiv zur Beeinflussung der Menschen ein. Es ist nicht zuletzt die Wirksamkeit der barocken Bilder, die zum Erfolg der katholischen Reform beitrug.

Vielen Dank, Christoph Stiegemann, für das spannende Gespräch!

*Prof. Dr. Stiegemann promovierte zum Thema: „Heinrich Gröninger (um 1578–1631). Ein Beitrag zur Skulptur im Fürstbistum Paderborn zwischen Spätgotik und Barock“

Prof. Dr. Christoph Stiegemann ist seit 1990 Direktor des Erzbischöflichen Diözesanmuseums Paderborn. Er übernahm 1994 zusätzlich die Leitung der Fachstelle Kunst im Erzbischöflichen Generalvikariat Paderborn sowie den Vorsitz der Kunstkommission. 1998 wurde er zum Kustos des Paderborner Domes ernannt. Im Herbst 2020 endet Christoph Stiegemanns langjährig Tätigkeit als Direktor des Diözesanmuseums.

Das Gespräch führte Waltraud Murauer-Ziebach

 

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