Skip to content
Blick in die Rubens-Ausstellung, Foto © DiözesanmuseumPaderborn, Kalle Noltenhans

Auf der obersten Ebene des Diözesanmuseum erwartet die Besucher*innen Überraschendes. Wie schon bei den großen Ausstellungen zu den „Wundern Roms“ oder der Caritas ist auch bei „Peter Paul Rubens und der Barock im Norden“ wieder Zeitgenössisches zu sehen. Gemeinsam mit Museums-Direktor Christoph Stiegemann hat Christiane Ruhmann diese Ausstellungsabteilung kuratiert.

Klangvolle Namen – kraftvolle Werke

An der Stirnwand hängt ein großer Farbwirbel, er stammt von Gerhard Richter, dem wohl bekanntesten deutschen Künstler der Gegenwart. Den Raum davor dominiert eine imposante, dynamisch gedrehte Säule des international renommierten Bildhauers Tony Cragg. Mit der wandfüllenden Schwarz-Weiß-Arbeit „Komm, du süße Todesstunde“ greift die Grande Dame der Konzeptkunst Rune Mields das Thema der „ars moriendi“ – der „Kunst des Sterbens“ auf. Der belgische Multimedia-Künstler Hans Op de Beeck ist mit zwei poetischen Video-Arbeiten vertreten und – wie schon bei vergangenen Ausstellungen – sind wieder Werke des Münchner Foto- und Videokünstlers Christoph Brech zu sehen. Installationen des polnischen Künstlers Dominik Lejman, der britischen Regisseurin und Künstlerin Sam Tayler-Johnson und der deutschen Videokünstlerin Sonja Toepfer thematisieren das ewige Werden und Vergehen.

Selbst-Inszenierung

Warum zeigen Sie zeitgenössische Arbeiten in einer Barock-Ausstellung, Frau Ruhmann? „Unsere Ausstellungen präsentieren ihr jeweiliges Thema immer sehr dicht und mit einer Fülle von Exponaten, da haben wir gute Erfahrungen damit gemacht, wenn die Besucher*innen am Ende eine Abteilung finden, mit der sie assoziativer, spielerischer umgehen können und die ihnen vielleicht das in ferner Vergangenheit liegende Thema ein wenig in ihre eigene Gegenwart spiegelt“, erklärt die Kuratorin. „Wir schauen also immer, ob es Bezugspunkte in der aktuellen Kunst gibt, ob und wo sich unser Thema in der heutigen Zeit wiederfindet. Natürlich ist unsere Auswahl sehr ausstellungs- und auch Kuratoren-bezogen, andere Kuratoren würden das vielleicht ganz anders machen. In der Ausstellungsvorbereitung haben wir erwartete, aber auch unerwartete Ähnlichkeiten zwischen dem Barock und unserer Zeit gefunden. Zum Beispiel ist dem Barock die ganze Welt ein Theater. Man war vom Schöpfer in der Welt platziert worden und hatte ein seinem Stand entsprechendes Leben zu führen. Das „Sich-selbst-inszenieren“ – nun in einer selbst gewählten Rolle ? – ist etwas, das heute für viele Menschen wieder stark im Vordergrund steht.“

Blick in die Ausstellung "Peter Paul Rubens und der Barock im Norden". Foto ©DiözesanmuseumPaderborn/Bezim Mazhiqi
Blick in die Ausstellung „Peter Paul Rubens und der Barock im Norden“. Foto ©DiözesanmuseumPaderborn/Bezim Mazhiqi

Das große Welttheater

Die Metapher des „Großen Welttheaters“ bildet in der Rubens-Ausstellung die Überleitung zur Abteilung „Aktualität des Barock“. Es ist eine Chiffre, die im Barock allgegenwärtig ist und von Wissenschaftlern ebenso in Anspruch genommen wird, wie von Künstlern und Politikern. Im gleichnamigen Theaterstück des spanischen Dichters und Dramatikers Pedro Calderón de la Barca wird die irdische Wirklichkeit als Inszenierung des göttlichen Regisseurs gezeigt. Was im Diesseits wichtig erscheint, wird hier als vergänglich, als Schein und Maskerade entlarvt. Ist da eine Verbindung zwischen dem Barock und unserer Zeit zu finden? Christiane Ruhmann deutet auf eine Vitrine: „Wir zeigen eine Handschrift von Calderón de la Barcas „Das große Welttheater“. Dort betreten die Menschen durch die Tür des Lebens die Bühne, agieren in ihrer Rolle und treten durch die Tür des Todes wieder ab. Der Schöpfer entscheidet, ob sie das gut gemacht haben und einen Platz an der Tafel des Herrn bekommen. Heute kreieren Menschen ihre Rollen, zum Beispiel die Influencer im Internet, um sich darzustellen, zu präsentieren, in Szene zu setzen. Da geht es wohl nicht mehr darum die ewige Seligkeit zu erlangen, sondern um möglichst viele Likes. Dieses Repräsentieren und das Einnehmen einer bestimmten Rolle, das ist aber schon sehr barock.“

Blick in die Ausstellung, Foto © DiözesanmuseumPaderborn, Kalle Noltenhans
Blick in die Ausstellung, Foto © DiözesanmuseumPaderborn, Kalle Noltenhans

Die ewigen Fragen

Der Künstler Hans Op de Beeck setzt das in seinen Arbeiten poetisch-theatralisch in Szene. In seinem Video „Parade“ betreten Menschen in den unterschiedlichsten Ausstattungen eine Bühne, überqueren sie, um sie auf der anderen Seite gleich wieder zu verlassen. Unsichtbare Hände heben von oben die jeweils passende Kulisse ins Bild. Schaut man dem eine Weile zu, wird deutlich: Der Künstler vermag es bewunderungswürdig, beim Betrachter die Frage nach dem Sinn und auch nach sich selbst auszulösen: Warum bin ich in diese Welt gestellt? Was tue ich hier?

„Was mich auch fasziniert, ist die Behandlung des Todes im Barock“, sagt Christiane Ruhmann. „Da heißt es ‚pflücke den Tag‘, ‚das Leben ist kurz‘ oder ‚stirb auf die richtige Art und Weise‘. Die ‚Kunst des Sterbens‘ – das ist sehr barock. Heutzutage will das keiner mehr wissen, ich schließe mich da ein. Man möchte sich nicht damit auseinandersetzen, wie es am Ende aussieht.“ Mit diesen Themen setzt sich auch Rune Mields auseinander, wenn sie in ihrer Arbeit „Komm, du süße Todesstunde“ Johann Sebastian Bachs gleichnamige Kantate mit einer menschlichen Figur und einem Skelett in Beziehung setzt. Sie ruft die Gegensätze auf: Leben und Tod, Lust und Last, Rosen und Dornen und betont diesen Dualismus durch den Gegensatz von Schwarz und Weiß. Doch Mensch und Tod umarmen sich – der Tod wird so zum Teil des Lebens.

Die Kunst und die Kraft der Wirbel

Kuratorin Christiane Ruhmann hat sich, bei ihrer Suche nach zeitgenössischen Arbeiten, durch Aspekte des Theatralischen und die Beschäftigung mit der Vergänglichkeit leiten lassen. Auch das Phänomen der Überwältigung des Betrachtenden – Peter Paul Rubens beherrschte das perfekt – wurde zum Anknüpfungspunkt. In einer für die meisten Menschen bilderlosen Zeit verstand er es, sie förmlich in seine Gemälde hineinzuziehen. Großartig zeigt sich das bei der „Beweinung Christi“. „Du wirst zum Teil dieses Gemäldes, du sollst im Geschehen sein und den toten Christus betrauern, auf die Knie sinken und das Leiden unmittelbar mitempfinden. Diese Auflösung des Raumes zwischen Betrachtendem und Bild, dieses Gefangensein im Bild, das ist etwas, was mich an der Barock-Zeit sehr fasziniert“, betont Christiane Ruhmann und beschreibt, wie Rubens schon in den kleinen Vorstudien diese Wirkung anlegt: „Wenn man seine Zeichnungen und seine Modelli betrachtet, dann sieht man den Schöpfungsprozess unmittelbar. Man nimmt plötzlich gar nicht mehr so sehr das Dargestellte wahr, sondern die Art, wie es gemacht ist.“ Am Beispiel der Ölskizze von Rubens für ein Deckenfresko in der Jesuitenkirche in Antwerpen wird das deutlich. Das Motiv ist das Martyrium der hl. Lucia: „Sie ist an einen Pfahl gefesselt, aber die Szene hat etwas sehr Abstraktes, Wirbelndes, das dreht sich, das fliegt irgendwie nach oben weg“, beschreibt Christiane Ruhmann. „Hier sieht man, wie Rubens das Werk konzipiert hat. Diese Konzeption hat für mich sehr viel Ähnlichkeit mit der abstrakten Arbeit von Gerhard Richter, die wir hier ausstellen.

Der Schöpfungsprozess wird sichtbar

Richter hat einen Quadratzentimeter seiner Palette fotografiert, das Bild an die Wand projiziert und es dann mit großer Geste nachempfunden, nachgeschaffen. Auch hier ist das Ergebnis ein wirbelndes, vielleicht auch transzendentes und es changiert zwischen Malerei und Fotografie. Ausgangspunkt des Schöpfungsprozesses ist – übrigens genauso, wie mitunter bei Hans Makart (1840 – 1884), nach dem Richter sein Werk benannt hat – die Palette des Künstlers. Sowohl Richter als auch Rubens setzen sich also für das Publikum nachvollziehbar mit Schöpfungsprozessen auseinander – eine spannende Übereinstimmung, verändert durch den Lauf der Zeit. Hier habe ich mich oft gefragt, was wohl Herr Rubens zu Herrn Richter gesagt hätte. Die Kunst der Überwältigung mit den Mitteln der Malerei beherrschen sie jedenfalls beide.“

Auch die Skulptur von Tony Cragg ist „überwältigend“ – ein Wirbel, ein hölzerner, mitreißender Wirbelsturm scheint zwischen den anderen Kunstwerken durch den Raum zu fegen. Sein Titel: „It is, it isn‘t“ – „Es ist, es ist nicht“ – oder „halb im Unentschlossenen schweben“, wie Calderón de la Barca es in seinem großen Welttheater“ formulierte.

Hans Op de Beeck, Celebration, 2008, Video 16:9; Foto: Studio Hans Op de Beeck
Hans Op de Beeck, Celebration, 2008, Video 16:9; Foto: Studio Hans Op de Beeck

Die Abteilung zur Aktualität des Barock und damit auch die Ausstellung enden opulent, aber auch ergebnisoffen mit Hans Op de Beecks zweiter Arbeit: „Celebration“. Zu sehen ist ein lebendiges Bild mit einer langen, festlich gedeckten Tafel inmitten einer Wüstenlandschaft. Service-Personal steht erwartungsvoll bereit. Die weiße Tischdecke bewegt sich leicht im Wind, manchmal sind Vögel zu hören. Einzig die Gäste fehlen. Ist man hier eingeladen teilzunehmen …?

 

 

Autorin: Waltraud Murauer-Ziebach

Titelfoto:  Blick in die Ausstellung, Foto © DiözesanmuseumPaderborn, Kalle Noltenhans

Dr. Holger Kempkens wird neuer Direktor der Diözesanmuseums Paderborn, Foto: Besim Mazhiqi

Dr. Holger Kempkens folgt auf Professor Dr. Christoph Stiegemann als Leiter des Erzbischöflichen Diözesanmuseums

Das Erzbistum Paderborn freut sich auf Dr. Holger Kempkens aus Bamberg als neuen Leiter des Erzbischöflichen Diözesanmuseums Paderborn und des Teams Kunst im Erzbistum. Die Corona-Pandemie samt Verschiebung der Ausstellung „PETER PAUL RUBENS und der Barock im Norden“ führten dazu, dass Professor Dr. Christoph Stiegemann als Direktor des Diözesanmuseums und Leiter der Fachstelle Kunst im Erzbistum Paderborn in die Verlängerung musste, denn eigentlich wäre er Ende Juni 2020 in den wohlverdienten Ruhestand verabschiedet worden. Nachdem die Ausstellung am 25. Juli erfolgreich an den Start ging, steht nun der Nachfolger des umtriebigen Museums-Chefs fest: Dr. des. Holger Kempkens leitet seit 2012 das Diözesanmuseum Bamberg und hat zudem regelmäßig einen Lehrauftrag an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg. Zuvor war er lange in verschiedenen Ausstellungsprojekten in NRW unterwegs, zuletzt beim Bistum Münster als Kurator der Schau „Goldene Pracht – Mittelalterliche Schatzkunst in Westfalen“, die 2012 in Münster gezeigt wurde. Die offizielle Verabschiedung von Professor Dr. Stiegemann fand am 30. September statt, am 15. Oktober beendet er seinen Dienst. In einem Pressegespräch wurde Dr. Holger Kempkens von Generalvikar Alfons Hardt als Nachfolger von Professor Dr. Christoph Stiegemann vorgestellt.

„Mit den großen Sonderausstellungen, durch die unser Diözesanmuseum inzwischen zu einer veritablen Stimme im Chor der europäischen Museen wurde, aber auch mit der erfolgreich durchgeführten Inventarisierung der Kunstausstattung unserer Kirchen im Erzbistum hinterlässt Professor Dr. Christoph Stiegemann ein Erbe, das wohl bewahrt und weitergeführt werden soll“, betonte Generalvikar Alfons Hardt. „Mit Herrn Dr. Kempkens haben wir eine Persönlichkeit gefunden, die der westfälischen sakralen Kunst eng verbunden ist und die – aus der Arbeit für das Erzbistum Bamberg – um die Bedeutung von Kunst als Kulturträger in kirchlichem Umfeld und darüber hinaus weiß“, erklärte der Generalvikar des Paderborner Erzbischofs.

„Ich freue mich außerordentlich, dass mit Herrn Dr. Kempkens ein Nachfolger gefunden wurde, der über langjährige Erfahrungen auf dem Gebiet überregionaler kunst- und kulturhistorischer Ausstellungen verfügt und für den auch die kirchliche Denkmalpflege bekanntes Terrain ist“, sagte Vorgänger Museumsdirektor Professor Dr. Christoph Stiegemann.

Dr. Kempkens, der seine Dissertation zum Thema „Die Zisterzienserklosterkirche Marienfeld und die Burgkapelle von Schloss Rheda“ verfasste, fügte hinzu: „Ich freue mich sehr auf mein neues Aufgabenfeld in Paderborn. Mit ihm kehre ich zugleich auch zu meinen westfälischen Forschungsschwerpunkten zurück.“ Dr. Holger Kempkens wird seinen Dienst in der westfälischen Bischofsstadt am 15. Oktober antreten.


Pressebilder zum Download:

Dr. Holger Kempkens folgt auf Dr. Christoph Stiegemann als Leiter des Erzbischöflichen Diözesanmuseum Paderborn. In einem Pressegespräch wurde er heute vorgestellt.

Dr. Holger Kempkens, Foto: Privat
Dr. Holger Kempkens wird neuer Direktor des Diözesanmuseums Paderborn, Foto: Besim Mazhiqi
Stabübergabe: Der scheidende Museumsdirektor des Diözesanmuseums Paderborn, Prof. Dr. Christoph Stiegemann (links), mit seinem Nachfolger Dr. Holger Kempkens (rechts), Foto: Besim Mazhiqi
Das Team des Diözesanmuseums mit dem scheidenden Direktor Prof. Dr. Christoph Stiegemann (Mitte von links), seinem Nachfolger Holger Kempkens (Mitte) und Generalvikar Alfons Hardt vor dem Diözesanmuseum (rechts), Foto: Besim Mazhiqi

…oder: Was in den letzten 40 Jahren zwischen Kunst und Kaffee geschah, das beschreibt unser Gastautor Kalle Noltenhans aus sehr persönlicher Sicht. Der Fotograf, Gestalter und langjährige Weggefährte unseres scheidenden Direktors Christoph Stiegemann hat seine Erinnerungen und seine spezielle Sicht der Dinge humorvoll auf den Punkt gebracht. Viel Spaß beim Lesen!

Die Jahrzehnte mit Christoph Stiegemann – Rückblick aus der (foto-) grafischen Ecke

Von Kalle Noltenhans

Jetzt tauche ich mal in alten Erinnerungen, und hole aus sehr persönlicher Perspektive punktuell hervor, was meine Beziehung ausmacht zu „Stiegi“, wie Nahestehende die Person des Direktors des Diözesanmuseums Paderborn, Bundesverdienstkreuz Trägers und Inhabers weiterer Ämter und päpstlicher Auszeichnungen, den lieben Professor Doktor Christoph Stiegemann manchmal, in entspannten Momenten und in einfacher Sprache, nennen. Das Nachdenken, Ordnen, Materialsichten, Aussortieren und Verwerfen zu diesem Beitrag führt beim Lesen zu der Einschätzung: „aha, Kalle schreibt seine Memoiren“. Wäre zu hoch gegriffen. Er gräbt nur etwas im Langzeit-Gedächtnis.

Die Vor- und Frühgeschichte

erster Job 1976

1975 : Die „G“

Auslöser für die dauerhafte Begegnung war ein einziger Zufallsmoment und ein paar Kontaktweitergaben in dessen Folge, die für mich so entscheidend und lebensprägend waren, dass ich sie hier unbdingt voranstellen muss: 1976 (das ist noch gar nicht so lange her) fotografierte ich auf ihr Bitten hin eine entfernte „Bekannte“ – alle, auch ihr Freund, nannten sie die „G“, warum auch immer. Ich zog die Schwarzweiß-Version des G-Fotos im Format 50 x 60 cm auf eine Holzplatte, schleppte die Platte in meine „Ente“ (Citroën 2CV), als in genau dem random moment Nachbar Eberhard Chronz aufkreuzte, Pfeifenraucher und langjähriger Leiter des katholischen Medienzentrums (heute IRUM), und fragte: „Haben Sie das fotografiert? Können Sie mir für eine Libori-Ausstellung auch den Liborischrein fotografieren ?“ „Yup!“. Die Ausstellung fand dann statt am damaligen Sitz des Medienzentrums, im Haus Rathausplatz 7 – heute Café Bar Celona.

Durch diesen Fotojob hatte ich den ersten Kontakt zum gerade neu errichteten Diözesanmuseum, damals noch als Bausünde im Schatten des Doms verkannt und bekämpft, seinerzeit befindlich unter der Leitung von Domvikar Prof. Karl-Josef Schmitz und dessen Assistenten Hermann Maué, Stiegemanns direktem Vorgänger. Schmitz wurde von seiner Umgebung ehrfürchtig nur „Herr Professor“ genannt. Ein liebenswertes Nervenbündel, welches nebenbei das Kursbuch der Deutschen Bahn auswendig wusste und – ich schweife leider ab – einen exotischen DAF fuhr. Maué kannte mich nun, und ich durfte 1977 als Folgeauftrag einige wenige, in jeder Hinsicht unglaublich schlimm geratene Fotos von Exponaten für den Ausstellungskatalog „Goldschmiedekunst im kurkölnischen Sauerland aus 8 Jahrhunderten“ abliefern. Da half auch die eindruckschindende geliehene Blitzanlage nicht wirklich.

Katalogtitel Goldschmiedekunst, 1977

1980: Maué ging, Stiegemann kam, hatte eigenen Fotobedarf, stieß bei internen Recherchen auf mich und rief mich auf meinem olivgrünen Telefon mit Wählscheibe an. Oder war es beige? Wir siezten uns. Schon recht bald gelang es Stiegemann mühelos, die erbitterten Museumsgegner umzudrehen und zu glühenden Verehrern des Böhm-Baus zu machen.

An dieser chronologischen Stelle, aber nicht aus vergleichbarem Anlass, sei nun ein Hinweis auf das inzwischen allgemein-verfängliche Zitat am Schluss des Liebes- und Emigrations-Filmdramas  „Casablanca“ von 1942 erlaubt, als Rick Blaine den „Beginn einer wunderbaren Freundschaft“ ankündigt. Schluchz. Stiegemann ist Cineast, ich nicht, wir sind trotzdem Freunde.

Wie im Weichbild der Stadt, so auch einsam auf der Paderborner Hochfläche leicht identifizierbar : Christoph Stiegemann,  2.1.2005

Get together*

Ende 1980 kamen wir zusammen. 10 Jahre lang habe ich für Christoph ausschließlich fotografiert. Analog – der Computer war noch nicht erfunden. Gelayoutet wurde von Schriftsetzern und Reprofotografen in Druckereien. Von einer „beruflichen“ Zusammenarbeit spreche ich lieber nicht. Beruf – das klingt sehr ernst und sehr groß. Einen Beruf haben Ärztinnen, Anlageberater und Fleischereifachverkäuferinnen. Ich sehe mich bis heute als medialen Erfüllungsgehilfen. Nebenberuflich, weder dazu ausgebildet noch durch Studium befähigt, sondern an der Tischkante gelernt. Denn im kontrastweise ausgeübten sogenannten „Beruf“ saß ich bei der Firma Nixdorf Computer AG in der Kreditoren-Buchhaltung, Buchstabe L bis Z. Goldene Jahre dort, jedenfalls für die anderen. Für die Stiegemann-Fotografiererei habe ich, tage- oder halbtageweise, in der Summe die Hälfte meines „Tarifurlaubs“ verbraten. Abgeliefert wurden Farbdias und vor allem selbstentwickelte Schwarzweiß-Abzüge, letztere in – aus heutiger Sicht – erschreckend unzureichender Qualität. Für die Abbildungen z.B. im Katalog zur Ausstellung „Glas und Gemälde des 17.–19. Jh.“ (1981 Stiegemann’s erstes großes Ding im Diözesanmuseum) – siehe Beispielabbildung hier – schäme ich mich noch heute.

Ein Wiedersehen mit selbigen Exponaten gab es übrigens 2020 im Residenz-Museum Schloss Neuhaus, welches die Sammlung des (Dauer-)Leihgebers inzwischen betreut. Nach 38 Jahren das selbe Zeug nochmal neu zu verarbeiten, war mir eine große Freude. In der Ausstellung 1981 faszinierten mich besonders zwei Gemälde – das einer Hausschlachtung und das Waldboden-Stilleben des O.M. van Schrieck. Doch statt profundem Kunstverständnis war mir vor allem eins wichtig (geht vielen so): Zugehörigkeit und Anerkennung in der Kunst-Szene.

*„get together“ = kein englisch, sondern ein Terminus aus der Sprache der Business-Kasper

Erstes Projekt: Katalog Glas & Gemälde, 1981

Katalog Glas und Gemälde des 17.–19. Jh., 1981
Wohlwollend ertragen: üble Fotos aus meiner Produktion im Katalog Glas und Gemälde des 17.–19. Jh., 1981
Otto Marseus van Schrieck, Waldbodenstilleben

Christoph Stiegemann bei einer literatischen Meditation (Nickerchen) in Florenz (Santa Croce ?), 28.12.1989

Nebenjob oder Privatvergnügen ?

Durch Christoph Stiegemann fand ich vermehrt Zugang und Verankerung im nunmehr geliebten und behaglichen katholischen Milieu (s. folgende Bildergalerie). In kontinuierlichen Spin-off-Prozessen wurde ich weiterempfohlen, ich lernte viele interessante Menschen kennen in Bereichen, die mir in der Beschränkung meiner öden Buchhaltungswelt verschlossen geblieben wären. Dafür bin ich sehr dankbar. Und wenn in der katholischen Messe nach der Wandlung gebetet wird „… und für alle, die im Dienst der Kirche bestellt sind“ weiß ich, dass auch wir gemeint sind.

Bildergalerie: Navigieren im katholischen Milieu mit und ohne Christoph Stiegemann

u.a. im Haushalt von Stiegemann-Vorgänger Prof. Schmitz, im Empfangsraum eines Paderborner Klosters, mit dem, 1990 noch bartlosen, früheren Leiter der Kommende Dortmund in Le Mans bei einer schönen Zigarre, im Hinterstübchen der Kirche in Gehrden oder im Garten des Anwalts Auffenberg, der die Figur des Fürstbischofs Dietrich von Fürstenberg aus den Kriegstrümmern gerettet hatte. An einem verschneiten Februartag durfte ich sie nach Feierabend fotografieren. Wofür ? Keine Ahnung. Später wurde sie restauriert und am Portal des Theodorianums angebracht.

Gerüste, Türme, Kaffeepausen

In meine fotografische Ära (1981–1991) fielen zwei Projekte,  die zu den glücklichsten und erfüllendsten meiner katholisch-nebenberuflichen Laufbahn gehören.

Dissertationspublikation zu Heinrich Gröninger, 1989

Erstens: die fotografische Begleitung von Christoph Stiegemanns als vielzitiertem Standardwerk erschienener Dissertation „Heinrich Gröninger · Um 1578–1631 · Ein Beitrag zur Skulptur zwischen Spätgotik und Barock im Fürstbistum Paderborn.

Seine geistige Leistung nahm auf alt bewährte Weise Gestalt an: Wortwörtlich entstanden aus Christophs Hand mit butterweichen 6b-Bleistiften und einem fest montierten Kurbelbleistiftanspitzer echte Manuskripte, von einer Verwandten mit Schreibmaschine transkribiert zu lesbaren DIN-A4-Vorlagen, die bei Bonifatius Paderborn traditionell im Fotosatz noch mal abgetippt wurden. Die Abbildungen kamen mit Hilfe von Reprofotografie und 1-Million-teurem Trommelscanner per manueller Bogenmontage hinzu. Ausgestorbene Technik.

Ich liebe Türme, Gerüste und Aussichtsplattformen. Das Fürstenberg-Grabdenkmal war in den 1980er Jahren kurz eingerüstet, und das durch Stiegemann ermöglichte Rumturnen auf und am Gerüst in 18 Metern Höhe war ein Privileg. Gröninger hatte nicht nur am Paderborner Dom gearbeitet, sondern zum Glück überall im „Hochstift“. Fotografische Außentermine gerieten zu Forschungs- und Entdeckungsreisen. Nach so einer – puzzlestückartigen – Entdeckung an der Kanzel der Kirche in Welda bei Warburg, blieb die Verschnauf- und Belohnungspause im herbstlich-trübe-verpennt-spätsamstäglichen Warburg, präzise im Café Eulenspiegel, in dauerhaft glücklicher Erinnerung. Überhaupt haben die verplauderten Kaffeepausen für mich höchsten Stellenwert. Stiegemann weiß was ich meine, wenn ich bei Reiseberichten zuerst nach dem erlebten oder unvorstellbarerweise ausgefallenen touristischen Rahmprogramm frage: „Gab es denn wenigstens einen Kaffee?“

Eissen, St Liborius

Von zentraler Bedeutung : der hl. Liborius

Zweitens: Die Vorbereitung zur Ausstellung „Liborius im Hochstift Paderborn“ Juli–September 1986. Wieder das Hochstift, wieder viel „Rumfahren“, mühsames Forschen, Entdecken ohne Google, dafür zweite Versuche, Kaffee und Kuchen beim Pastor. Aber da ich nicht die Verantwortung für den Erfolg tragen musste, kam mir die Unternehmung als willkommene Abwechslung zu meinem Büroalltag L–Z gerade recht. Seither identifiziere ich mich mit der Liborius-Verehrung und betrachte den damals noch überdurchschnittlich frommen südlichen Kreis Höxter (im Hochstift) als die Toskana Westfalens. Wir klapperten mit Christophs schnittigem Mitsubishi Colt (72 PS, 4-Gänge plus 4 Halb-Gänge !) die Dorfkirchen nach barocken Holz- und neugotischen Gipsfiguren ab. Die pseudo-neo-byzantinische Kirche in Eissen hatte ich wegen des goldenen Lichts im Innern, und besonders wegen der einzigartig ländlichen Umgebung an der Bahn-Magistrale zwischen den Metropolen Peckelsheim und Borgentreich lieb gewonnen, und siehe da, der Eindruck bei einem Wiedersehen 2018 war nahezu unverändert.

Während der Fotoreisen zu den Liborius-Stätten ging in Tschernobyl der Reaktor hoch. Man hatte zwar in den 1960ern von Zivilschutz-Instanzen gelernt, dass gegen radioaktiven Fall-Out eine über den Kopf gehaltene Aktentasche gut helfen soll, aber ein mulmiges Gefühl blieb.

Schlichter Katalogeinband zur Ausstellung Liborius im Hochstift Paderborn, 1986 mit freigestellter Liborius-Büste · Gestaltung: Bonifatius Verlag
Liborius in Eissen
Mit Letraset-Rubbelbuchstaben designtes Etikett zum gereichten Mineralwasser aus der Liborius-Quelle Bad Lippspringe, anlässlich der Eröffnung der Liborius-Ausstellung, 1986
Eissen-Seite im Katalog 1986

Barockes Feeling im Frans Hals-Museum Haarlem

Unvergessen bleibt die Reise 1987 zu einer Eigentümerin eines in deren Schlafzimmer fest verbauten (und ich behaupte scheußlichen) Kunstwerks, das zum Lebenswerk eines Künstlers* gehörte, über den eine Publikation zu verfassen war (*die Zuschreibung erwies sich später als falsch, der Künstler war rehabilitiert). Irgendwo im Münsterland. Nach der anschließenden Pizza am elektrischem Kaminfeuer ließ ich bedauerlicherweise meinen ersten Pastorenschal hängen. Ein weiteres Exemplar ging 1990 in St. Ewaldi, Dortmund-Aplerbeck verlustig. Vielleicht sollte ich mal nachschauen, ob sie noch dort hängen.

Für Hochstimmung der Extraklasse sorgten vom „Chef“ (wie man ihn im Museum anerkennend nennt) angesetzte Reisen, egal wohin. Übliche Ziele waren Kirchen in der Region, Pfarrhaushalte, verarmte Adelssitze und versteckte Bildstöcke, oder was sonst für seine kunsthistorischen Aufsätze, Beiträge, und Kataloge fotografiert werden musste. Manchmal schauten wir uns an, was die anderen machen: Ausstellungen finden schließlich auch in Antwerpen, Berlin oder Utrecht statt. Derlei Reisen gelten für mich persé als gelungen – sogar, wenn man unerwartet vor verschlossenen Türen, verstellenden Gerüsten oder thematisch unwillkommenen Weihnachtsbäumen stand und nur das touristische Rahmenprogramm griff. Kirche, Kunst und Kultur als Background bescheidenen Lustgewinns.

Wiederholtes Reiseziel: der Kanal Damse Vaart von Sluis bis Brugge. Spielt auch für die Rubens-Ausstellung 2020 eine Rolle. Links: 1983 · rechts: 2008

Gezeitenwechsel – ab jetzt alles digital

Ur-Entwurf des Diözesanmuseum-Logos von Michael Pitschke, ohne die später hinzugefügte Sub-Linie plus Kontrapunkt

Verspätet ab 1990 brach auch für uns ein neues Zeitalter an. Computer, Rechner, PCs, wie man so sagte, hielten Einzug in meine und seine und die ganze Welt. In kleinen Schritten seit DOS und Windows 3.1 wurde viel Geld für Hard- und Software verpulvert. Die Wiedereröffnung des Diözesanmuseums nach der großen Umbaupause 1991 bis 1993 stand an. Mein erstes Buch layoutete ich in dieser Zeit in Aldus PageMaker: Bilder und Schriften Band 1. Für die Renovierung des Museums-Designs war auch ein neues Logo fällig, noch mit dem Rapidographen (Tuschezeichenstift) entworfen, und in CorelDraw digitalisiert. 1993 dann ging schon fast alles mit Bordmitteln, nur die Digitalfotografie fehlte noch.

Key Visual über Papst Johannes Paul II. am 12.6.1996 in Bad Lippspringe. Heute hätte man das Motiv die ganze Rückwand ausfüllen lassen.

1996 griff man im Zusammenhang des Besuchs von Papst Johannes Paul II. in Paderborn auf mich zurück, um ein Key Visual für den Papst-Besuch in Paderborn zu schaffen. Rückwirkend eine wunderbare Erfahrung:  Gemeinsam (fast) unmittelbar für einen wirklichen Heiligen gearbeitet zu haben.

Erst wurden noch Disketten ausgetauscht – zwischen Christoph und mir, zwischen mir und der Druckerei. Doch wir wurden routinierter und professioneller. Ich finde es großartig, wie er es vermag, den Aufbau und das sowohl ideenreiche als auch inhaltlich plausible und starke Gesamtbild einer großen Ausstellung in der komplexen Architektur des Diözesanmuseums visionär nur im Kopf entstehen zu lassen, und diese Vision dann Stück für Stück real werden zu lassen. Dabei hat er einen guten Sensus für Falsches, und Falsches vermeidet er konsequent, gemäß des Spruches aus dem früher gern gelesenen Vorwort von Thomas Hoof im Kundenmagazin des Versandhandels für die guten Dinge Manufactum, bei dem wir trotzdem nicht kaufen: „Es gibt kein richtiges Kaufen im Falschen.“ Stiegemann’sche Seriösität als Erfolgsfaktor. Oft habe ich seine Vorstellungen wie im Blindflug erst verstanden, wenn sie im Museumskontext fertig gebaut waren.

Schnellhefter brachten mich auf die Palme

Wenn es sein musste, saß Christoph als „Art Director“ in „gemütlichen Computer-Sessions“, mit mir nächtens am Rechner und gab seine Vorstellungen bekannt, während ich wusste, mit welchen Photoshop-Effekten und Programm-Kombinationen das Gewünschte zu erreichen war. Wir erstaunten uns dabei gegenseitig. Pläne und Skizzen brachte er in Schnellheftern mit, wohl wissend, dass ich diese Hefter nicht ausstehen konnte. Wahrscheinlich als eine mild-diabolische Form des Sympathiebeweises zu verstehen. Das Foto zeigt zwei Schnellhefter, die ich zum Glück vergessen hatte zu entsorgen.

In den Jahren entstanden hunderte von Foldern, Heften, Büchern, Plakaten, Karten, Anzeigen und Internet-Seiten. Wozu? Stiegemann sagt: „Das ist das einzige, was bleibt.“ Nur den Internetseiten mangelt es an Dauerhaftigkeit.

Kulisse auf Museumsebene 3 in der Ausstellung Wunder Roms, 2017

Rom-Zeichnung (um 1535) von Maarten van Heemskerck 

Detail-Ansicht der fertigen Kulisse
25.000 Pixel-Bild in Photoshop

Die Ausstellung Wunder Roms, 2017, brachte eine Aufgabenstellung mit, die ich als mein bisher aufwendigstes und schwierigstes Photoshop-Projekt ansehe. Gefordert war eine über 25 laufende Meter abgewickelte Gesamtkulisse, die eine zwar nicht reale, aber sinnfällige Anmutung der abgewirtschafteten und ruinösen Stadt Rom vor Beginn des Renaissance-Zeitalters ermöglicht, ähnlich, wie Rom-Reisende jener Zeit, z.B. der niederländische Künstler Maarten van Heemskerck, den Zustand fasziniert in Zeichnungen festgehalten hatten.

Ich erhielt 9 historische Graphiken, die zu einem Ganzen zusammengefügt werden sollten. Die Schwierigkeit bestand darin, dass die Quellen perspektiv, maßstäblich, zeichnerisch und von der Datenqualität sehr unterschiedlich waren. Zudem musste die Geometrie der Museumsebene berücksichtigt werden, genauso wie einzuplanende Lücken in der Motivik der Kulisse, um Vitrinen zu platzieren. Die grafische Arbeit zog sich über Wochen hin, doch Christoph Stiegemanns Ermunterungen und Hilfestellungen, vor allem seine Fähigkeit, Probleme runterzuskalieren, führten letztendlich zu einem guten Ergebnis.

Christoph Stiegemann bei Maßnahmen zur Canossa-Ausstellung, 28.6.2006

Zuletzt

Darf es noch eine kleine Anekdote sein ?

Als ich, wirklich aufgelöst vor Ärger, Wut und Trauer, 2002 mit dem Fahrrad zum Museum fuhr, um mich bei Christoph auszuheulen, nämlich darüber, dass ich mir soeben von einem betrügerischen Autoaufkäufer meinen 1994er (also 8 Jahre alten) 90PS Golf Diesel  für einen 3-stelligen Spottpreis unwideruflich hatte abkungeln lassen, in der Erwartung, dass er mich bedauert und Trost spricht, hat er nur schallend gelacht. Sein Rat: „Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen“. Die Weisheit habe ich mir zu eigen gemacht und in mein festes Repertoire übernommen.

Vieles kann ich mir vorstellen, aber nicht, dass Christoph Stiegemann das Diözesanmuseum Paderborn verlässt, man ihn nicht mehr fragen kann: „Soll die Anzeige so raus ?“ oder nicht mehr darauf zu spekulieren, dass er auf Bahnreisen kleingeschnittene Äpfel aus eigener Produktion gerecht als Reiseproviant verteilt. Zum Heulen.

Was dann ? Ja, man könnte versuchen, ihn in den Shops der einschlägigen Museen, in Bahnhofsbuchhandlungen und im Eiscafé Fontanella auf der Frankfurter Kaiserstraße – seit 1957 – zu treffen. Einfach wird das nicht, denn er geht seinen eigenen Weg.

Ein „Übersetzer“ mit strahlender Freude an der Kunst

Paderborn, 30. September 2020: Prof. Dr. Christoph Stiegemann, Leiter des Diözesanmuseums, wird mit einem Dankgottesdienst und einem Festakt in der Paderhalle verabschiedet,  Foto: Besim Mazhiqi

Wenn „Institutionen“ gehen, ist das einen besonderen Abschied wert – auch in Corona-Zeiten: Prof. Dr. Christoph Stiegemann tritt nach 30 Jahren als Direktor des Erzbischöflichen Diözesanmuseums in den Ruhestand. Am Mittwochnachmittag feierte Erzbischof Hans-Josef Becker mit dem scheidenden Museumsdirektor, dessen Familie und Gästen zunächst eine Dankmesse im Hohen Dom. Anschließend wurde der künftige Ruheständler in einem Corona-gemäßen Festakt in der PaderHalle für sein langjähriges, unermüdliches und begeisterndes Engagement gewürdigt.

Prof. Dr. Christoph Stiegemann habe in seiner frühen Begegnung mit der christlichen Kunst die Botschaft und Bilder vom Heil eingesogen, sagte Erzbischof Becker im Gottesdienst. „Für dich ist der Glaube das Fundament und das Bleibende, seit den Kindertagen“, richtete sich der Paderborner Erzbischof an den langjährigen Museumsdirektor, Leiter der Fachstelle Kunst im Erzbischöflichen Generalvikariat und Domkustos.

„Gott spricht zu uns durch Musik, Malerei, Film, Theater, Tanz und Dichtung. All das sind auch Gottes Sprachen in der Welt“, zeigte sich Erzbischof Becker überzeugt. Prof. Dr. Stiegemann, dem Papst Franziskus erst vor wenigen Wochen den Päpstlichen Silvesterorden verliehen hat, habe diese Sprachen mit seiner Begeisterungsfähigkeit immer wieder übersetzt. „Als echter ‚Teamplayer‘ hat er auch sein Museumsteam immer neu begeistert. Nur so konnten die Ausstellungen so erfolgreich werden, weil sie für alle im Museum zur echten Herzensangelegenheit geworden sind“, so der Paderborner Erzbischof.

Den Bildungsauftrag im Blick

Generalvikar Alfons Hardt begrüßte nach dem Gottesdienst beim Festakt zahlreiche Ehrengäste in der PaderHalle – darunter den Bischof von Osnabrück, Dr. Franz-Josef Bode, sowie Professor Dr. Dr. Thomas Sternberg, Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken. Viele Kolleginnen und Kollegen aus anderen Museen waren zur Verabschiedung gekommen –  laut Generalvikar Hardt ein Zeichen für „die guten gewachsenen Verbindungen zwischen den Museen und kirchlichen Häusern“. Ihre Verbundenheit drückten auch Künstler wie Brody Neuenschwander aus Brügge, Christoph Brech aus München und HA Schult aus Düsseldorf mit ihrer Präsenz aus.

Prof. Dr. Christoph Stiegemann sei es gelungen, „das Diözesanmuseum weit über die Grenzen des Erzbistums hinaus bekannt zu machen“, führte Generalvikar Alfons Hardt in seinem Grußwort aus. Dabei sei dem scheidenden Museumsleiter immer der Bildungsauftrag wichtig gewesen, kirchliche Kunst und Kultur einer breiten Öffentlichkeit zu erschließen. Generalvikar Hardt lobte auch Stiegemanns Verdienste als Leiter der Fachstelle Kunst: „Bei einer Vielzahl von Bau- und Renovierungsvorhaben im Erzbistum hat er sich mit der ihm eigenen Kreativität und einem hohen Maß an Sachverstand und Erfahrung eingebracht, Kirchengemeinden begleitet, aber auch Architekten, Künstler und Restauratoren beraten.“

Architektur mit Erzählungen bespielt

Prof. Dr. Harald Wolter-von dem Knesebeck kennt Prof. Dr. Stiegemann als langjähriger Weggefährte sehr gut. Er hat an vielen Ausstellungen im Diözesanmuseum mitgearbeitet. „Du hast die Architektur des Museums immer wieder mit sinnreichen Erzählungen bespielt und die Welt, in der wir heute leben aus ihren historischen Bezügen erklärt“, sagte der Mittelalter-Kunsthistoriker in seinem Festvortrag zu Prof. Dr. Stiegemann. „Und zwar mit Humor und einer strahlenden Freude an der Kunst. So kennen und so lieben wir dich!“

„Was soll man einem vielfach ausgezeichneten Menschen wie Prof. Dr. Stiegemann noch schenken“, schilderte Dr. Christiane Ruhmann als Mitarbeiterin des Diözesanmuseums das „Dilemma“ der Kolleginnen und Kollegen, ein passendes Präsent zum Abschied zu finden. Die „Ära Stiegemann“ sei eine spannende Zeit des Wachsens gewesen, aus der eine Vielzahl an guten Kooperationen entstanden sei. „Deswegen haben wir uns für ein Gemeinschaftsprojekt entschieden, das diese vielgestaltige Zusammenarbeit ausdrückt“, so Dr. Ruhmann. Entstanden ist daraus eine hochkarätige Festschrift mit dem Titel „Museum als Resonanzraum. Kunst – Wissenschaft – Inszenierung“, die Ruhmann gemeinsam mit ihrer Kollegin und Mit-Herausgeberin Dr. Petra Koch-Lütke Westhues ihrem langjährigen „Chef“ übergab. „Ich bin stolz, dass so viele Autorinnen und Autoren aus unterschiedlichen Disziplinen uns in ihren Beiträgen teilweise auch ihre neuesten Forschungsergebnisse anvertraut haben“, fasste Dr. Christiane Ruhmann zusammen.

Von der Festschrift bis zum Apfelbäumchen

Das erste Kapitel der facettenreichen Festschrift hat Erzbischof Hans-Josef Becker beigesteuert. Passend zum Inhalt des Aufsatzes überreichte er Prof. Dr. Stiegemann für dessen Garten einen Korbinian-Apfelbaum: Einen solchen Baum hatte der bayerische Pfarrer Korbinian Aigner während seiner Inhaftierung im Konzentrationslager Dachau unentdeckt gezüchtet. Einen Kunstbezug hat das Bäumchen auch: Auf der Documenta in Kassel im Jahr 2012 waren 402 Apfel-Zeichnungen des bayerischen Pfarrers und Apfelkundlers zu sehen.

Auch Ulrike Frey aus dem Team der Kunstinventarisierung, die seit 1988 im Erzbistum erfolgt und heute fast abgeschlossen ist und die Prof. Dr. Stiegemann langjährig begleitet hat, hatte ein Geschenk mitgebracht: ein gebundenes „Inventar der Inventarisatoren“, in dem die vielen Kunsthistoriker, die an der Inventarisierung mitgearbeitet haben, dem künftigen Ruheständler nun in nachhaltiger Erinnerung bleiben werden.

Menschlicher Bezug und Freude als A und O

Nach eigener Aussage „überwältigt und nahezu sprachlos“ angesichts der vielen guten Wünsche und Geschenke hatte der Geehrte das letzte Wort. Er richtete seinen Dank an alle, die ihn auf seinem Weg begleitet und unterstützt und diesen Tag „als großartiges Geschenk“ für ihn gestaltet haben, auch an seine Familie, die ihm immer den Rücken freigehalten habe. In besonderer Weise erinnerte er an seinen Vater. Dieser sei Kirchenbaumeister und habe ihm geraten: „Das Wichtigste ist der menschliche Bezug und die Freude an der Sache.“

Arbeitslos werde er in Zukunft nicht werden, so Stiegemann. In seiner Funktion als Leiter des Kompetenzteams für das Welterbe Corvey gebe es beispielsweise noch genug zu tun. Dass während der laufenden Rubens-Ausstellung mit seinem Abschied der „Vorhang falle“ für sein Wirken als Museumsleiter, empfinde er als großes Geschenk: „Im Barock war die Flüchtigkeit der Zeit ein bestimmendes Motiv. Es galt, unvergessliche Feste gegen diese Erfahrung zu setzen. So ein Fest durfte ich heute erleben. Dafür danke ich Ihnen allen und sage: Adieu!“

Für den musikalischen Rahmen des Abends sorgten mit melancholisch-schönen „Zwischenklängen“ Robert Kusiolek am Akkordeon und die Pianistin Elena Chekanova mit Live-Elektronik.

Die aktuelle Ausstellung „Peter Paul  Rubens und der Barock im Norden“ ist noch bis zum 25. Oktober im Erzbischöflichen Diözesanmuseum zu sehen.

Paderborn, 30. September 2020: Prof. Dr. Christoph Stiegemann, Leiter des Diözesanmuseums, wird mit einem Dankgottesdienst und einer Veranstaltung in der Paderhalle verabschiedet. Foto: Besim Mazhiqi
Gruppenfoto mit Gästen im Anschluss an den Dankgottesdienst. Foto: Besim Mazhiqi
Dankgottesdienst im Paderborner Dom mit Erzbischof Becker. Foto: Besim Mazhiqi
Prof. Christoph Stiegemann mit Prof. Dr. Dr. Thomas Sternberg, Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Bürgermeister Michael Dreier und der ehem. Bürgermeister Heinz Paus. Foto: Besim Mazhiqi
Prof. Dr. Christoph Stiegemann mit Prof. Dr. Dr. Thomas Sternberg, Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken. Foto: Besim Mazhiqi
Prof. Dr. Christoph Stiegemann mit Prälat Max Eugen Kämper. Erzbischof Becker und Generalvikar Hardt. Foto: Besim Mazhiqi
Prof. Dr. Christoph Stiegemann mit Erzbischof Becker, Generalvikar Alfons Hardt und dem Pressesprecher der Deutschen Bischofskonferenz Matthias Kopp mit Frau. Foto: Besim Mazhiqi
Prof. Dr. Christoph Stiegemann mit Künstler Christoph Brech. Foto: Besim Mazhiqi
Prof. Dr. Stiegemann mit HA Schult und seiner Frau Anna Zlotovskaya. Foto: Besim Mazhiqi
Prof. Dr. Christoph Stiegemann mit Frau Claria und Sohn Cornelius. Foto: Besim Mazhiqi

 

Gäste kommen zum Festakt in die PaderHalle. Foto: Besim Mazhiqi
Professor Dr. Harald Wolter-von dem Knesebeck aus Bonn hielt als langjähriger Wegbegleiter den Festvortrag. Foto: Besim Mazhiqi
Professor Dr. Harald Wolter-von dem Knesebeck aus Bonn hielt als langjähriger Wegbegleiter den Festvortrag. Foto: Besim Mazhiqi
Dr. Christiane Ruhmann und Dr. Petra Koch-Lütke Westhues überreichen die Festschrift an den „Chef“. Foto: Besim Mazhiqi
Ulrike Frey aus dem Team der Kunstinventarisierung übergibt Prof. Stiegemann das „Inventar der Inventarisatoren“. Foto: Besim Mazhiqi
Dr. Christiane Ruhmann übergibt die Festschrift an den „Chef“. Foto: Besim Mazhiqi
Erzbischof Hans-Josef Becker überreicht Prof. Stiegemann einen Korbinian-Apfelbaum. Foto: Besim Mazhiqi
Prof. Dr. Christoph Stiegemann mit seiner Frau Claria und Sohn Cornelius. Foto: Besim Mazhiqi
Musikalisches Rahmenprogramm: Robert Kusiolek am Akkordeon und Pianistin Elena Chekanova mit Live-Elektronik. Foto: Besim Mazhiqi
An den Anfang scrollen