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Neue Sonderausstellung im Diözesanmuseum Paderborn:
„BildKlang Kölner Dom – Lumen Fidei“ von Wolfgang Weiss und Simon Stockhausen

Paderborn (pdp). „Lumen Fidei – Photo Qubits – Fenster des Kölner Doms“, unter diesem Titel präsentiert das Diözesanmuseum Paderborn ab Donnerstag, 22. Juli 2021, eine bildstarke Sonderausstellung, die bis zum 10. Oktober zu sehen ist. Drei Meter große Werke des Fotokünstlers Wolfgang Weiss schmücken die Ausstellungswände und laden ein, die Fenster des Kölner Doms mal anders zu sehen. In einer Videoshow verbinden sich die Fotos mit einer musikalischen Inszenierung durch Simon Stockhausen.

Vieltönig, wirbelnd, fließend zeigen sich die Fenster des Kölner Doms im Raum-Zeit-Spiegel des Fotokünstlers Wolfgang Weiss. Es ist, als gäbe das Licht den Weg frei für eine Expedition zur Wirkung hinter der Wirklichkeit. Das von außen durch das Domfenster scheinende Licht verbindet sich im gebogenen Spiegel zu einer neuen Wirklichkeit, einer anderen Erscheinungsform des Domfensters, die Wolfgang Weiss fotografisch fixiert. Das natürliche Licht – „lumen naturale“ – wird zum Licht des Glaubens – „lumen fidei“.

Die Ausstellung BildKlang Kölner Dom ist eine Co-Kreation von Wolfgang Weiss und dem Komponisten Simon Stockhausen, der Tonfolgen, Klangverläufe und Rhythmen direkt aus den Bildwerken ableitet, seine surrealen Klanglandschaften sind in einer Videopräsentation zu hören. „Wir konnten die Ausstellung in wenigen Wochen verwirklichen“, freut sich Dr. Holger Kempkens, Leiter des Erzbischöflichen Diözesanmuseums, bei der Eröffnung. Auch Fotokünstler Wolfgang Weiss war überrascht, wie unkompliziert der Vorgang war. Nach Köln und Düsseldorf ist nun Paderborn die dritte Station, auf der 14 Großbilder gezeigt werden. Ein anderer Teil dieser Fotofolge ist ab dem 31. August im Düsseldorfer Landtag zu sehen.

„Kathedrale des Lichts“

Die Uraufführung der aktuellen Arbeit der beiden Künstler Weiss und Stockhausen wurde dem Kölner Dom als Kathedrale des Lichts gewidmet. BildKlang ist eine Symbiose aus Bildern und Klängen. Fenster eines Doms sind für Wolfgang Weiss Lichtfilter von draußen nach drinnen. Sie sorgen für eine sakrale Stimmung und erzählen eine Geschichte – diese Wahrnehmung versucht der Künstler in einem eigenen Stil umzusetzen. Über den Spiegel bekämen sie eine neue Form, so Weiss, der mit dem Rücken zum Fenster in den Spiegel schaut und seine Entdeckungen macht. Das Bild müsse ihm etwas sagen. Er schaffe damit neue Wirklichkeiten, obwohl er lediglich fixiere, was er momentan sehe.

Wolfgang Weiss sucht seine Motive durch einen 50×70 konkaven und verbiegbaren Spiegel. Er schaut hinein, empfindet ein Bild und fotografiert dies schließlich mit einer Kamera vom Spiegelbild ab. „Kein Photoshop, keine Trickserei – sondern nur eine Originalabbildung des Bildes auf dem Spiegel“, lässt sich Weiss in seine Technik blicken. Dabei begibt er sich jedoch auf die Suche, schaut immer wieder neu, achtet auf Standort und Lichtverhältnisse. Unschärfe als Stilmittel sei erlaubt. Jedoch könne ein Foto auch mehrere scharfe Punkte in der Tiefe haben. Was nun wiederum ein Unterschied zu einer normalen Fotografie mit Tiefenschärfe sei. Weiss: „Wenn ich Maler wäre, dann wäre der Spiegel mein Pinsel.“

Interesse an der Quantenphysik

Es sei keine reine Fotokunst, sondern eine Arbeit mit spiritueller Note, ergänzt Museumsdirektor Kempkens. Einerseits muteten die Bildwerke an wie eine kurvige Grenzlinie zwischen Immanenz und Transzendenz. Andererseits erwiesen sie sich als fließender Übergang. Aus einem naturwissenschaftlichen Hause kommend, war Wolfgang Weiss schon immer an der Quantenphysik interessiert, die ihn zur neuen Stilrichtung der „Photo-Qubits inspiriert habe. „Die Raum-Zeit-Biegung hat mich stets fasziniert“, so Weiss, der bei sich selbst erkannt hat, dass Beobachter durch das Beobachtende beeinfluss sind. Diesen Spirit wünscht er auch den Besucherinnen und Besuchern der Ausstellung im Diözesanmuseum.

Wäre ein solches Werk auch im Paderborner Dom möglich? Der Künstler zeigt sich interessiert und hat auch schon an zwei Fenstern im Hohen Dom Gefallen gefunden. Auch das „Drei-Hasen-Fenster“ hat sein Interesse geweckt.

Vita

Wolfgang Weiss

Wurde 1956 in Hungen geboren. Von 1975-79 studierte er in Dortmund Foto-/Filmdesign und machte seinen Abschluss als Diplom Designer. Nachfolgend arbeitete er als selbständiger Foto- und Filmdesigner mit dem Schwerpunkt Industriefotografie. Seit 2012 arbeitet als freischaffender Künstler. Die innere Quelle menschlicher Wirkkraft, Tugenden und spirituelle Fragen bestimmen seine Werke.  Folgende Auszeichnungen erhielt Weiss u.a.: Deutscher-Jugend-Fotopreis Photokina in Köln, Kodak-Kalender-Preis für surrealistische Industrie-Fotografie in Stuttgart, Ferrari-Foto des Jahres in Düsseldorf sowie 2. Preis Medical-Picture der Photokina Köln.

Simon Stockhausen

Wurde 1967 in Bensberg bei Köln geboren. Schon als Fünfjähriger begann der Sohn des berühmten Komponisten Karlheinz Stockhausen mit seiner musikalischen Ausbildung u.a. mit Klavier, Saxophon, Schlagzeug, Synthesizer und Komposition. Erste Auftritte mit seinem Vater folgten im Alter von 12 Jahren zum Beispiel an der Mailänder Scala. Nach dem Abitur tourte er mit dem Stockhausen-Ensemble in alle Welt. Simon Stockhausen produzierte zusammen mit seinem Vater auch elektronische Musik für zwei Opern.

Audio Statements von Dr. Holger Kempkens und Wolfgang Weiss

Museumsdirektor Dr. Holger Kempkens (l.) vor den Werken des Künstlers Wolfgang Weiss – mit seiner Ehefrau Petra – im Diözesanmuseum Paderborn.  Foto: Ronald Pfaff / Erzbistum Paderborn

2017 nahmen wir an einem Projekt der Ostwestfalen-Lippe GmbH (Teutoburger Wald Tourismus) zum Thema Storytelling teil. Man sollte spannende Geschichten zu seinem jeweiligen Ort erzählen, die dann in einem gemeinsamen Format Besucher*innen der Region angeboten werden könnten. Interessant war die Ausgangsidee, wurden doch die teilnehmenden Kultureinrichtungen aufgefordert, sich für die Geschichten der Form der Heldenreise zu bedienen. Das Projekt war schnell abgeschlossen*, aber die Idee, sich „unseren“ Gottfried Böhm – also das Diözesanmuseum Paderborn – tatsächlich als einen Helden vorzustellen, blieb für uns sehr inspirierend, hat das relativ junge Gebäude doch eine wechselvolle, wahrhaft sturmumtoste Geschichte vorzuweisen. Bis heute wird es bewundert, geschmäht, ist von Abriss bedroht oder – vor allem außerhalb der Region – als Ort überregionaler Kulturvermittlung bekannt. Besser geht’s eigentlich nicht, und so wollen wir also – seinem Schöpfer zu Ehren (Gottfried Böhm verstarb am 9. Juni im Alter von 101 Jahren https://www.dw.com/de/architekt-gottfried-boehm-gestorben/a-57838135) – hingehen und die wundersame Mär unseres Helden zu BLOG bringen – eines Ritters in mittlerweile schon leicht angelaufener Bleirüstung, der im Jahr 1974 zum Schrecken der Paderborner ziemlich über Nacht vor dem altehrwürdigen Dom Stellung bezog und seither nicht mehr verschwinden wollte.

Was versteht man nun aber unter einer Heldenreise? Ihr Protagonist wird in die alltägliche Welt berufen – er (oder sie) trägt alles, was es für ein Heldenleben braucht, schon in sich. Eine Reihe unüberwindbarer Schwierigkeiten – auch eigene Befindlichkeiten – verhindern den Aufbruch ins Abenteuer, doch immerhin wird man von übersinnlichen Mächten unterstützt. Nach herben Rückschlägen und hohen Wogen findet der/die Held*in Freunde und Verbündete, besteht zahlreiche Prüfungen – oft steht es auf des Messers Schneide – und siegreich kehrt er (oder sie) heim, als Meister*in beider Welten – der alltäglichen und der des Abenteuers.

Soweit die Form im Allgemeinen. Unser spezieller Held erblickte 1974 das Licht der Paderborner Innenstadt. Seit die Bombardements des Zweiten Weltkriegs die Fachwerkbebauung auf der Südwestseite des Domes zerstört hatten (Abb. 1 und 2), herrschte hier ein freier Blick auf die beeindruckende, im Kern frühgotische Kathedrale. Die Verantwortlichen des Erzbistums nahmen im Jahr 1969 ebendiesen – seit der Zeit Bischof Meinwerks von Paderborn (amt. 1009–1036) eigentlich immer bebauten – Ort vor dem Dom für ihr neues Museum in den Blick.

Abb.1: Blick auf die Vorkriegs-Fachwerk-Bebauung am Übergang von Marktplatz und Dom-Vorplatz
Abb.2: Kriegszerstörungen im Bereich des Paderborner Doms

Mit der Entscheidung, es nach einem Entwurf von Gottfried Böhm (Abb. 3) zu errichten – der als Sieger aus einem groß angelegten Architektenwettbewerb hervorgegangen war – setzte man ein bewusstes Zeichen für moderne Architektur und neue, zukunftsweisende Bauformen. Dem Helden war also eine strahlende Zukunft in die Wiege gelegt. Gleich einer schimmernden Rüstung legten sich die gestuften Blei-Fassaden mit ihren zahlreichen Glasflächen um den in großer Geste aufsteigenden Innenraum – geradezu prädestiniert für epische Präsentationen. Vom Inneren des Museums aus konnte man den Dom erblicken – ein beziehungsreiches Gesamtgefüge, denn das Haus sollte u.a. den Domschatz bergen. Der Held aus Glas, Stahl und Blei war sich aber auch seiner Verwurzelung im Urgrund der jahrtausendealten Geschichte Paderborns bewusst – der Bau erhebt sich über den Resten des alten Palastes Bischof Meinwerks aus dem 11. Jahrhundert, dessen Gewölbe nun den Domschatz bergend überfangen sollten (Abb. 4).

Abb. 3: Entwurf Diözesanmuseum Paderborn von Gottfried Böhm
Abb. 4: Blick auf die obertägig sichtbaren Gewölbereste des Bischofspalastes Meinwerks während der Bauzeit des Diözesanmuseums, ca. 1974

Nicht nur als Bauwerk der Kirche war unserem Bleiritter überzeitliches Wohlwollen zumindest in Aussicht gestellt. Auch der Architekt sorgte mit seinem gesamten Wissen und seiner Kunst dafür, dass sich im Helden ein weiter philosophischer Horizont manifestieren sollte: Gottfried Böhm (*1920; † 2021), Sohn des Architekten Dominikus Böhm (1880–1955), der neben seiner Tätigkeit als Baumeister auch Bildhauer war und viele seiner Gebäude skulptural auffasste, war in den 1960er-Jahren gerade dabei, internationalen Ruhm zu erlangen. Charakterisiert durch einen ausgesprochen expressiven Formenreichtum, waren es vor allem Böhms frühe kristalline Beton-Bauten, die Aufsehen erregten. Als ein Höhepunkt dieser Zeit ist die Wallfahrtskirche in Neviges im Bergischen Land zu nennen, bis heute eines der bekanntesten Werke Böhms.

Der Entwurf des Diözesanmuseums zeigt eine bei Böhm allgemein in den 1970er-Jahren feststellbare Tendenz weg von den rein skulpturalen Bauwerken hin zu funktionaleren, „industrieller aufgefassten“ Formen, zu einem Gerüstbau, bei dem Stahl einen größeren Part als zuvor übernahm (Abb. 5 und 6) – wie die Paderborner noch leidvoll erfahren sollten.

Abb. 5 Der fertige „Böhm-Bau“ – Außenansicht von Osten mit Eingangsbereich
Abb. 6 Innenansicht von Osten, 1983

Dass das Paderborner Preisgericht mit seiner Entscheidung für den Böhm’schen Entwurf Weitblick und ein tiefes Verständnis für bedeutende architektonische Strömungen des 20. Jahrhunderts bewiesen hatte, zeigte sich (dies sei nur nebenbei bemerkt) auch daran, dass dem Architekten im Jahr 1986 der Pritzker-Preis – also der Oscar für Architekten – verliehen wurde. Damit befindet sich unser Heldenvater in einer Reihe mit Baumeister*innen wie Richard Meier, Frank Gehry, Renzo Piano, Norman Foster, Zaha Hadid oder Peter Zumthor.

Abb. 7: Protest an der Rüstung – bereits während der Bauzeit, ca. 1974

Soviel zu den Superkräften – nun beginnt die eigentliche Heldenreise, denn der Start in eine leuchtende Ausstellungswelt gelang nur zögernd. Bereits von Baubeginn an hatte es bei den Paderbornern Widerstände gegen das Gebäude gegeben: In Leserbriefen wurde etwa gefragt, ob man das Geld nicht besser in Krankenhäuser oder die Afrikahilfe investieren sollte. Damals wie heute wurde bzw. wird – gleich in mehrfacher Hinsicht erstaunlich – also angenommen, man könne mit jenen Geldmitteln, die in Kultur investiert werden, die sozialen Probleme der Gesellschaft lösen. Aber vor allem das krasse Stahlskelett des Ritters, welches in der Bauzeit in nur wenigen Tagen vor dem Dom emporwuchs, war es, welches das Fass zum Überlaufen brachte. Der Bau wurde als „Schandmal“ (Abb. 7), als „Mausoleum des gesunden Menschenverstandes“ oder als „der Stadt ewiger Klotz am Bein“ empfunden.

Abb. 8: Blick auf den Domturm durch die verglaste Nordwand des Diözesanmuseums. Im Innern der Verglasung hatte sich nach kurzer Zeit Material gelöst, was zu sichtbarer Schlieren- und Gitterbildung führte.

Dies alles hätte unseren Ritter nebst überzeitlichem Beiratspersonal natürlich nicht anfechten müssen – schließlich war man quasi Stararchitektur für kulturelle Zwecke, die wird oft erst mal falsch verstanden. Doch zu all dem kam eine ausgesprochen ernsthafte innere Seins-Krise hinzu, vermochte es doch der Held nicht, die ihm anvertrauten Exponate – das war ja seine eigentliche Aufgabe gewesen – gegen die Unbilden der Zeit und des Klimas zu schützen! Weder die Konstruktion des Baukörpers noch die eingebaute Lüftungstechnik waren geeignet, konstante Klimawerte für die wertvollen Kunstgegenstände sicherzustellen. Durch die großen Fensterflächen gelangte das Licht – und damit die den Exponaten arg zusetzende UV-Strahlung – ungehindert in den Innenraum (Abb. 8). Die Raumtemperatur heizte sich der dünnen Außenhaut wegen tagsüber schnell auf und kühlte nachts ebenso schnell wieder ab. Kunstwerke, die extra für die Präsentation im Neubau restauriert worden waren, zeigten nach einem Jahr so große Schäden, dass sie wiederum behandelt werden mussten – ein klarer Fall von Identitätsverlust – und das gleich auf mehreren Ebenen!

Abb. 9: Innen vor allem vertikal – Blick auf die Präsentation eines der Hauptwerke des Diözesanmuseums, die Imad-Madonna. Man erkennt, dass die kostbare Skulptur zum Schutz vor dem Sonneneinfall provisorisch von einer Art Gardine hinterfangen ist.

Mehr noch: Die gewaltige eigene Bildmacht unseres Helden auch im Inneren (Abb. 9) – Rezensenten sprachen von „Maschinenhallen“ oder „Laboratorien für Hochspannungstechnik“ – ließ die Exponate „wie erfroren, wie das Stroboskop-Bild eines personenreichen merkwürdigen Balletts“ wirken, schreibt etwa Ulrich von Altenstadt in einem – eigentlich als zustimmende Würdigung des gerade eröffneten Bauwerks gedachten – Aufsatz „Zwiesprache zwischen Alt und Neu. Das Diözesanmuseum Paderborn“ von 1979. Und weiter: „Nirgends auch nur ein Hauch ihres ehemaligen Milieus, […]. Hier sind sie endgültig abgedankt, konserviert im staubfreien Exil, aus ihrem einstigen Zusammenhang herausgelöst […].“

So verdunkelten sich die Zukunftsaussichten unseres Helden, wuchs der Unmut, mehrten sich die Stimmen in Paderborn, die nach der Spitzhacke riefen und für den Abriss sammelten. In der lokalen Presse lieferten sich Gegner und Befürworter hitzige Debatten. Die eine Seite wünschte sich Idylle; die Ausstellungstücke könne man doch auch gut auf die Paderborner Innenstadtkirchen verteilen. Die andere Seite setzte sich vehement für jenes zukunftsweisende und weit ausstrahlende Architekturprojekt ein, das in einem Atemzuge mit dem gleichzeitigen Centre Pompidou in Paris (Bauzeit 1971– 1977) genannt werde.

War es besser, einen Schnitt zu machen? Das vom hörbaren Teil des lokalen Publikums oft als Zumutung empfundene Gebäude, das zudem den Schutz der Exponate nicht leisten konnte, abreißen? Oder sollte man dem strahlenden Heldentraum einer großen Architektur, die gleichwohl auch für die Präsentation von Kulturgut bestens geeignet sei, jenem Traum, den die Initiatoren einst geräumt hatten, noch eine Chance geben?

In dieser bedrohlichen Situation nahte Rettung in Form zweier Verbündeter: Das Erzbistum beschloss, eine Sanierung zu versuchen – wie überall stand da auch gleich das Thema „Asbest“ mit auf der Sanierungsliste – und stellte unter der Führung des Leiters der Finanzabteilung eine Arbeitsgruppe zusammen, der unter anderem Mitarbeiter des Museums und des Bauamtes angehörten. Das Team kannte alle Schwächen, aber vor allem das Potenzial des Baues und stand zur Heldenrettung bereit. Außerdem wurde der britische Architekt Michael Brawne* (1925-2003) mit der Sanierung betraut. Brawne hatte sich bereits durch einige internationale Bibliotheks- und Museumsbauten einen Namen gemacht und war durch umfassende konzeptionelle Überlegungen zum Verhältnis von Architektur und Ausstellungsgut bekannt geworden. Er schlug vor, in das vorhandene Gebäude ein zweites, dank adäquater Technik als Museum funktionierendes Bauwerk einzubringen. Er zog unserem Helden also ein Untergewand an – denn er wollte seinen Charakter nicht grundsätzlich ändern –, das aus einer stabilen, mehrschichtigen und umfangreichen Wanddämmung bestand. Die Fenster wurden durch lichtundurchlässige Glaspaneele ersetzt, und dem Helden wurde zudem ein Rucksack verpasst, d.h., ein Anbau an der Nordseite zur Aufnahme einer Klimaanlage, die seitdem für ein konstantes Raumklima sorgt. Die Kühlung der Raumluft wird – in der Bauzeit wie auch heute noch innovativ – mit dem Wasser aus dem Quellkeller der Pfalzanlage Bischof Meinwerks nördlich des Doms vorgenommen; der Bleiritter ist also ‚grüner‘, als er aussieht. Der Eingang wurde von der Ostseite auf die Südseite des Gebäudes verlegt; dort bildet das Foyer nicht nur den Ort für einen adäquaten Besucher*innenempfang, sondern auch eine Klimaschleuse, die bewirkt, dass das Raumklima in den Schauräumen konstant bleibt.

Im Innenraum ist die Veränderung am deutlichsten wahrnehmbar (Abb. 10, 11 und 12), was bis zum heutigen Tag ein dankbarer Anknüpfungspunkt für zum Teil recht lautstarke und auch polemische Kritik ist. Doch die klaren weißen Flächen und auch die Brüstungen, die Kleinsträume schaffen, stehen unseren Exponaten ganz ausgezeichnet – der Bau ist nun tatsächlich als jenes Museum nutzbar, als das er einst bestellt worden war.

Abb. 10: Michael Brawne: Modell des Innenraums des Diözesanmuseums
Abb. 11: Entwurfsskizzen Christoph Stiegemanns (Direktor des Diözesanmuseums von 1991–2020) – der für den Umbau auch ein neues Präsentationskonzept erarbeitete – auf Grundlage des Architektenmodells
Abb. 12: Blick ins Diözesanmuseum nach dem Umbau 1993 (Foto 2009)

Aus all diesen Prüfungen ging der Bleiritter also gestärkt hervor. Die Ertüchtigung des „Böhm-Baues“ zu einem arbeitsfähigen Museum eröffnete in der Folgezeit noch ganz andere Perspektiven. Seit dem Ende der 1990er-Jahre gelang es, mittels großer kunst- und kulturhistorischer Sonderausstellungen (Abb. 13) mit einem hohen Anteil an atmosphärisch dichter Inszenierung und Erlebnisqualität, das Diözesanmuseum weit über die Region hinaus einem größeren Publikum bekannt zu machen. Viele der Sonderausstellungen hatten ein regionales Thema als Ausgangspunkt – etwa die Flucht Papst Leos III. im Jahr 799 zur Residenz Karls des Großen nach Paderborn (799 – Kunst und Kultur der Karolingerzeit),  oder die Entstehung zweier Hauptstücke der mittelalterlichen Sammlung des Diözesanmuseums – der Tragaltäre aus dem Umkreis der so genannten Werkstatt des Rogerus von Helmarshausen – im Zeitalter des Investiturstreits (CANOSSA – Erschütterung der Welt) und zuletzt die Barockisierung des Paderborner Doms durch zwei Antwerpener Künstler aus dem Umfeld von Peter Paul Rubens (PETER PAUL RUBENS und der Barock im Norden* [Abb. 14]).

Abb. 13: Eingangsebene des Diözesanmuseum anlässlich der Sonderausstellung „Credo – Christianisierung Europas im frühen Mittelalter“ 2013
Abb. 14: Besucher*innen der Ausstellung „Peter Paul Rubens und der Barock im Norden“ 2020
Abb. 15: Comic-Zeichnen „Nachts im Museum“ im Diözesanmuseum 2019

Ausgehend vom jeweiligen regionalen Fokus wird der Blick dabei stets auf Europa geweitet, was dazu führt, dass zahlreiche europäische Museen, Sammlungen und Bibliotheken mittlerweile ganz genau wissen, wo Paderborn eigentlich liegt. À propos EUROPA! noch so eine Heldin, die es eigentlich verdient hätte, dass man ihre Bedeutung für uns alle in einem BLOG-Beitrag mal ordentlich hervorhebt.

Als Held kommt man nie zur Ruhe – Taten warten! Die nächste wird die bestmögliche Erschließung des aufsteigenden Innenraums für Menschen mit körperlichen Einschränkungen sein – im Gästebuch wurde er einmal recht knackig und passend als „zu treppich“ eingestuft. Auch unsere Museumspädagogik wächst und braucht mehr Raum (Abb. 15).

Wir arbeiten sehr gern in unserem besonderen „Böhm-Bau“, der – wie man sieht – eine bewegte Heldenreise hinter sich hat, und freuen uns auf zukünftige Herausforderungen. Das Visier bleibt dabei immer oben ☺

Autorin des Textes ist Christiane Ruhmann, seit dem Jahr 2000 Kuratorin für Sonderausstellungen am Diözesanmuseum.

Bildnachweis:

Abb. 1: Erzbistum Paderborn, Fachstelle Kunst, Fotografie vor 1945, Stempel: Landesdenkmalamt Westfalen-Lippe
Abb. 2: Hoher Dom zu Paderborn, Fachstelle Kunst, Fotograf unbekannt
Abb. 3: Karl Josef Schmitz: zur Neubauplanung des Erzbischöflichen Diözesanmuseums in Paderborn, in: Alte und neue Kunst 17/18 (1969/1970),  S. 31, S. 12
Abb. 4–11: Archiv des Erzbischöflichen Diözesanmuseums Paderborn
Abb. 5, 6, 12, 13, 15: Diözesanmuseum Paderborn, Foto Kalle Noltenhans
Abb. 10, 14: Diözesanmuseum Paderborn, Foto Ansgar Hoffmann

8. Juli 2021

Studierende des Instituts für Romanistik der Universität Paderborn präsentieren Museumskoffer für den Einsatz in Schulen im Diözesanmuseum Paderborn

Im Diözesanmuseum unvergessen ist die letztjährige Rubensausstellung, die – fast wie geplant und Corona zum Trotz – großartige Werke des bedeutenden Antwerpener Künstlers und seiner Nachfolger in Paderborn präsentieren konnte. Eine besondere Aktion hatten sich damals Studierende des Instituts für Romanistik und des Belgienzentrums der Universität Paderborn mit ihrer Dozentin Professorin Sabine Schmitz überlegt: Die Präsentation barocker Lebenswelten in großen Schrankkoffern.

„Nachdem die Corona-Pandemie die Umsetzung des Projektes verhinderte, sind wir sehr dankbar, dass die Macherinnen und Macher sich bereit erklärten, es nun doch noch im Diözesanmuseum zu präsentieren“, freut sich Museumsdirektor Holger Kempkens.

Es entstanden drei facettenreiche Kofferwelten, welche von den Studierenden und ihrer Professorin Sabine Schmitz gemeinsam mit Holger Kempkens am heutigen Donnerstag, 8. Juli 2021, im Diözesanmuseum vorgestellt wurden.

Erarbeitet in spanisch- bzw. französischsprachigen Seminaren und künstlerisch mitgestaltet von Cathrin Spönemann vom Fach Kunst der Universität Paderborn, sind die Koffer für den Schulunterricht gedacht.

Ins „Große Welttheater“ des spanischen Barockautors Calderón de la Barca entführt der erste Koffer. „Dem Barock war das ganze menschliche Leben ein Bühnenstück, eine Inszenierung und eine solche kann von den Nutzerinnen und Nutzern des Koffers mittels zahlreicher Requisiten interaktiv realisiert werden“, erläutert David Schwind, der an der Konzeption dieses Koffers beteiligt war. Bedenkt man die große Rolle, welche die mediale Selbstdarstellung des Einzelnen im Internet heutzutage spielt, ist dies ein Konzept, das einem schulischen Publikum des 21. Jahrhunderts leicht zugänglich ist.

In Spanien und in der Beziehung Spaniens zu Lateinamerika spielt der Barock bis heute eine große Rolle für die Konstruktion kultureller Identität(en). Dies zeige der zweite Koffer anhand spannender Angebote und Aufgaben, so Alina Höveken, mit verantwortlich für dessen Inhalt. Hier kann man sich nicht nur der dunklen Seite des Barock annähern oder Rätsel lösen. Bedient man eine Spieluhr, erklingt barocke Musik, zur barocken Prachtentfaltung am eigenen Leib wird entsprechende Kleidung samt Spiegel bereitgehalten.

Der dritte Koffer schließlich trägt den Titel „Französischer Barock/französische Klassik“, und bietet einen kulturhistorischen Überblick. Auch der große Antwerpener Maler Peter Paul Rubens wird gebührend gewürdigt; es gibt sogar ein Interview mit dem Rubensexperten Nils Büttner zum Nachhören. „Doch nicht nur kulturelle Errungenschaften werden präsentiert“, führt Lisa Antpöhler, beteiligt an der Ausgestaltung dieses Koffers, aus: „Sozialgeschichtlich relevant werden die sehr unterschiedlichen Lebensrealitäten adeliger und nicht-adeliger Frauen in der Barockzeit für Schülerinnen und Schüler lebendig.“

Zu den Koffern gibt es zusätzlich noch Kurzfilme der beteiligten Studierenden zu sehen.

Die kleine Ausstellung im Diözesanmuseum ist nur der Auftakt: Wie Professorin Schmitz erläutert, sind die drei Koffer für den Einsatz in Schulen gemacht. Sie sollen Schülerinnen und Schülern die Epoche Barock in ihren verschiedenen Facetten interaktiv näher bringen. Die Koffer können von Lehrkräften ausgeliehen (z.B. in den Fächern Spanisch, Französisch, Kunst, Geschichte) und im Unterricht verwendet werden.

Das literarische Verfahren der Skizze versucht, sich einer Momentaufnahme in ihrer Unmittelbarkeit anzunähern. Eine gewisse Flüchtigkeit, Unfertigkeit, aber auch Prägnanz und Geschlossenheit machen den Charakter einer (literarischen) Skizze aus, welche durchaus von Widersprüchen lebt. Die folgende Skizze versucht, sich einer zeichnerischen Skizze, einem Verfahren der bildenden Kunst, anzunähern und vielleicht eins mit ihr zu werden. Das Geschilderte bezieht sich auf die kostenlose Veranstaltung „Chill Out-Drawing“ des Diözesanmuseums Paderborn, die jeden ersten Mittwoch im Monat stattfindet. 

„Von der Abendsonne gewärmt betrete ich mit einem Druck gegen das kühle Metall der Drehtür das Eingangsfoyer des Museums. Leise Gespräche und Lachen dringen an mein Ohr. Meine Tasche mit meinem Skizzenblock halte ich nun eindringlicher fest und werde flüchtig, aber herzlich begrüßt. Die Anwesenden begeben sich nach und nach in den Seminarraum für den Impulsvortrag. Heute wird es um Holzkohle gehen.

Für jeden Teilnehmenden gibt es einen Platz mit weißem Blatt und einem schmalen stiftähnlichen Stück Holzkohle. Es ist erstaunlich leicht. Ein ungewohntes Gewicht in einer an Federhalter und Kugelschreiber gewöhnten Hand. Beschwingt blicke ich mich um. Es ist mein erster Zeichenabend. Beschwichtigend rede ich auf die innere Stimme ein, die sich bereits mit jedem Teilnehmenden im Raum verglichen hat. Heute (und auch sonst) geht es nicht um perfekte Leistung. Heute ist es die Ruhe, die zählt. Ausprobieren. Etwas Neues. Ich versuche unvoreingenommen zu sein.

Wir werden freundlich begrüßt. Nicht länger als fünf Minuten geht die kleine Einführung. Entscheidend ist das Halten der Kohle sowie der Druck mit dieser auf das Papier. Kleine und große Beispielstriche sammeln sich auf den Unterlagen. Man hört das Kratzen der Kohle vermischt mit einzelnen Gesprächsfetzen. Das Ausprobieren steht im Vordergrund. Langsam komme ich in der Situation an und lenke den Fokus auf die Kohle, meine Hand und den Untergrund. Unsere Impulsgeberin verkündet, dass sie sich nun in das Museum begibt. Wir sind eingeladen nachzukommen, wenn wir bereit sind. Kein Druck. Kein Beobachten. Eine freundliche Einladung.

Ich gehe ihr nach einigen Minuten nach und betrete einen in leises Rauschen und warmes Licht getauchten Raum. Links und rechts führen Treppen in weitere Ebenen des Ober- und Untergeschosses. Die Ebenen sind offen und lichtdurchflutet. Hier ist genug Raum, um Dinge auf sich wirken zu lassen.

Und das führt uns nun zu diesem Moment. Genau hier, auf den Stufen. Ich habe mich auf einem Lederkissen niedergelassen. Vor einigen Augenblicken stand ich noch. Ich blicke auf die Falten des Gewandes der Frauenskulptur, das Schild verkündet mir es handelt sich um die Skulptur „Heilige Elisabeth mit Bettler“ 1540/ 1550. Ich erkenne, wie das Licht auf den erhabenen Stellen, da wo sich Knie und Beine der Frau abzeichnen, Platz nimmt. In den Stellen unmittelbar außerhalb des Lichtkegels sammelt sich Schatten und Dunkelheit. Dieses Muster und die Form des Gewandes sind einzigartig. Ein kleiner Ausschnitt, jedoch gilt es ihn nun auf Papier einzufangen.

Immer wieder wechselt mein Blick vom Blatt zur Skulptur. Die Striche mit der Kohle sind unsicher…meine Stirn legt sich in Falten. Ich bleibe hartnäckig und versuche mich, Strich um Strich, dem Wesentlichen zu nähern, versuche nicht, das Ergebnis, sondern den Prozess zu fokussieren. Die leisen Geräusche der Kohle, auch hohe Töne, und entfernte leise Stimmen, werden vertraut. Jeder hat sich auf einem Platz eingefunden oder geht vorsichtig umher.  Ein leises Rauschen ist zu hören. Genaues Hinsehen…später können Sie noch radieren, das ist gut, bleiben Sie dran. Die Hinweise der Frau, die diesen Abend – und gewissermaßen uns – leitet und betreut, bestätigen, ja motivieren mich. Ich mache weiter…werde sicherer, lasse Gedankensprünge hinter mir. Ich gehe ganz in dem Meer aus Strichen, Wischen, Schauen und Blicken auf. Ich bin mir nicht mehr sicher, wie schnell oder langsam die Zeit an mir vorübergeht. Das kann niemand der in einem Moment vollständig aufgeht. Die Luft riecht nach Stille…trocken, die vielen Gerüche der Materialien mischen sich. Erst gerade jetzt fallen sie mir auf. Strich um Strich vervollständigt sich meine Zeichnung. An einigen Stellen ist der letzte Strich erfolgt, andere warten noch auf Vervollständigung. Jedoch bin ich nun die, die vervollständigt ist. Sie wissen, welches Gefühl ich meine.

Und ich nehme Abschied von diesem Moment. Langsam kommen Bewegung, mehr Stimmen, Geräusche von Schritten in mein Wahrnehmungsfeld. Teilnehmende gehen an mir vorüber. Noch kann und will ich mich nicht regen. Ich schaue auf das Skizzenhafte, das Unfertige in einem Teil meines Bildes und bin zufrieden. An einigen Stellen könnten noch Striche, ein Wischen, das Radieren erfolgen. Jedoch ist dies nicht die Absicht. Nicht das Ziel. Es ist mir gelungen etwas abzubilden. Eine Skizze lässt immer schon das Vollständige erahnen, gleich dem Entwurf, zeigt sie das Konzept, das Wesentliche. So ist auch sie in ihrer Andeutung vollständig. Die Holzkohle ist leicht geschwunden. Stimmen und Schritte holen mich nun ein. Langsam verlassen mich die Eindrücke: schwarze Kohlepartikel auf rauem Papier, meine von Kohle geschwärzten Finger, die ins Gesicht gefallenen Haare. Ich bewege mich, stehe auf, anderthalb Stunden liegen hinter mir. Um die Zeichnungen zu fixieren wird Haarspray verwendet, das Ergebnis so konserviert. Ein Teil eines jeden Moments ist so festgehalten. Ein schöner Gedanke, hat doch so jeder Teilnehmende einen flüchtigen Moment für sich bewahrt.

Der Moment löst sich auf. Die letzten Worte sickern in das Papier. Die Hand führt nun einen Federhalter, keine Holzkohle. Was bleibt nun? Wenn alle sich zum Gehen wenden, lockere Gespräche, herzliche Worte fallen?

Was bleibt ist die Gewissheit.

Ja. Ich komme wieder.“

Ein Abend; nicht fern.

Ein Text von Giulia Bahlow

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