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Die Spannung ist groß, als Restauratorin Saskia Polzin-Reichelt vorsichtig die Handschrift aus dem 10. Jahrhundert öffnet und die prachtvollen Buchmalereien zu Tage treten. Umringt wird sie von internationalen Expert*innen, die sich im Diözesanmuseum u.a. aus Prag und New York eingefunden haben.
„Bibliothek und Skriptorium des Klosters Corvey“ – so das Thema des Arbeitstreffens von 16. Juni, das im Zuge der Vorbereitung unserer großen Sonderausstellung „Corvey und das Erbe der Antike“ (ab Herbst 2024) initiiert wurde.
Die Bibliothek des Klosters Corvey gehörte im Mittelalter zu den bedeutendsten in Norddeutschland, in ihrem Besitz waren auch zahlreiche Bücher mit antiken Texten. Durch eine wechselvolle Geschichte sind erhaltene Teile der ehemaligen Bestände heute in alle Welt verstreut. Ein Ziel der Ausstellung wird es sein, einige herausragende und thematisch besonders relevante Handschriften in Paderborn wieder zusammenzuführen.
Bei der Begutachtung der Handschrift aus dem 10. Jahrhundert – deren farbenfrohe Malereien im Skriptorium in Corvey entstanden und die sich heute in unserer Sammlung befindet – gab es am Freitag bereits erste Erkenntnisse zu den verwendeten Farbpigmenten, zur Zusammensetzung der Handschrift und ihrer Geschichte. Als nächstes steht eine umfangreiche Untersuchung des Werks an. Es bleibt also spannend!
Wer sich schon vor der Ausstellung über die Handschrift informieren möchte, hat hier die Möglichkeit dazu.
Unterstützung erfuhr das Treffen neben der Expert*innengruppe auch durch das Projekt „Mittelalterliche Buchhandschriften des Klosters Corvey digital“, an dem wir mit unseren Handschriften ebenfalls beteiligt sind.
Am 2. Juni fand der erste „Studientag Museum“ für Studierende der Universität Paderborn statt.
Das Museum in der Kaiserpfalz, das Stadtmuseum Paderborn und wir luden zu einem vielfältigen Programm ein: Nach einem gemeinsamen Willkommen in der Kaiserpfalz teilten sich die gut 70 Studierenden auf die drei Häuser auf, wo 3 x 3 parallele Angebote zu unterschiedlichen Bereichen der musealen Arbeit stattfanden.
Im Diözesanmuseum beschäftigten sich die Studierenden gemeinsam mit Kunsthistorikerin Elisabeth Maas mit der Frage, wie Kunst eigentlich ins Museum kommt und welche Arbeitsschritte bei der Inventarisierung der Bestände durchlaufen werden.
Zudem gaben die Restauratorinnen Gisela Tilly und Saskia Polzin-Reichelt spannende Einblicke in die Restaurierung von Gemälden und Skulpturen – und das besonders anschaulich! Denn neben der Präsentation verschiedener Hilfsmittel und Materialien (Bindemittel, Pigmente usw.) ließen sie sich auch bei der Restaurierung originaler Kunstwerke über die Schultern schauen.
Es war ein erfolgreicher Studientag, der hoffentlich nächstes Jahr wieder stattfinden wird! Danke an alle, die dabei waren!

Staunen und erwarten

Paderborn feiert den 100. Geburtstag von Josef Rikus. Stadtmuseum und Diözesanmuseum widmen ihm eine umfangreiche Doppelausstellung.

Überall ist von den großformatigen Werken des Bildhauers die Rede (Gierstorkreuz, Neptun-Brunnen etc.). Sie verstellen leicht den Blick auf seine Arbeiten im Kleinformat. Verdienen denn diese nicht genauso viel Aufmerksamkeit?

Wie die freien Arbeiten aus dem Frühwerk von Josef Rikus so zeugen auch viele der späteren Kleinbronzen vom ureigensten Ausdruck seines Gestaltungswillens. Denn anders als bei Werken für den öffentlichen Raum bedurfte es hier keinerlei Rücksichtnahme auf den Standort oder die Wünsche der Auftraggeber.

Beide Museen zeigen neben den Entwürfen für seine Großprojekte auch eine Vielzahl jener bemerkenswerten kleinen Arbeiten, in denen Rikus sein künstlerisches Empfinden ungestört formulieren konnte.

Da ist zum Beispiel die Kleinbronze mit dem Titel „Erwartung“.

Sie ist mehr für den Blick von oben als für die Ansicht auf Augenhöhe bestimmt. Fünf Menschen stehen dicht gedrängt. Die Körper sind verschmolzen zu einer Masse, aus der die Arme wie Tentakel zu allen Seiten in den Raum greifen. Ihre angewinkelten Beine ragen wie ausgestellte Stützen unter der zu einem Rumpf zusammengewachsenen Form hervor. Während die hinteren Gestalten noch dem unbestimmten Phänomen entgegendrängen, weichen die vorderen bereits davor zurück. Sie würden rückwärts fallen, gäben die vordrängenden Hintermänner ihnen keinen Halt. Die instabile Körperhaltung des Einzelnen sorgt in der Summe für den festen Stand der Gruppe. Wie die Kräfte eines jeden zur Stabilität des Ganzen beitragen, so summiert sich das in ihrer Gestik und Mimik zum Ausdruck kommende Empfinden zu einem überindividuellen Gemeinschaftserlebnis.

Doch was oder wen erwarten diese fünf Gestalten? Die geöffneten Münder, die geweiteten Augen, die gespannte Haltung, die gesamte Choreographie der staunend himmelwärts schauenden Gruppe schafft eine Atmosphäre, die wir von Ereignissen aus der Bibel kennen. Sie lässt an die Geschehnisse der Weihnacht denken, als die Hirten auf dem Felde der Erscheinung des Engels ansichtig wurden, oder an das Pfingstgeschehen. Vielleicht ist die Ursache auch ganz anderer, nämlich profaner Natur und die staunend hochblickende Gruppe schaut uns an, während wir sie betrachten.

Rikus verzichtete bei vielen seiner Werke bewusst auf eine eindeutige Darstellung. Wie die drei Punkte hinter einem nicht abgeschlossenen Satz regen sie die Phantasie an. Sie schließen das Zukünftige mit ein. Sie lassen ahnen, dass der hier festgehaltene Moment die dargestellte Handlung nicht abschließt. Sie lösen Assoziationen aus: Wie mag die Geschichte wohl weitergehen?

Das würden wir auch gerne wissen bei dem kürzlich abgebauten Gierstorkreuz. Es ist zurzeit in aller Munde und beschäftigt die Zunft der Leserbriefschreiber. Ein dickleibiger Band der „Denkmaltopographie der Bundesrepublik Deutschland“ hat das Kreuz bereits 2018 in den Adelsstand der denkmalwerten Kunstwerke erhoben. Voller Zuversicht hoffen wir nun auf die baldige Rückkehr des Kreuzes und darauf, dass hier nicht eine weitere Chance im Umgang mit bedeutender Kunst vergeben wird.

Zurzeit besteht die Chance, die kleinen Meisterwerke von Josef Rikus im Stadt- und im Diözesanmuseum aus nächster Nähe in Augenschein zu nehmen. Beide Häuser laden dazu ein. Alles steht bereit. Sie müssen nur kommen, sehen und staunen!

 

Hans-Ulrich Hillermann

Abbildungsunterschrift:

Josef Rikus: „Erwartung“, Bronze, 1986, Erzbischöfliches Diözesanmuseum Paderborn

Foto: Ansgar Hoffmann

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