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Ursula PützUrsula Pütz im Museumsdepot
Ursula Pütz im Museumsdepot
Ursula Pütz im Museumsdepot

Interview mit Sammlungskuratorin Ursula Pütz zum Ende ihrer Tätigkeit am Diözesanmuseum

Ursula Pütz war 27 Jahre lang die Hüterin unserer Sammlung. Niemand kennt die rund 8000 Werke aus elf Jahrhunderten besser als sie. Nun geht „Pütz“, wie sie liebevoll von den Kolleginnen und Kollegen genannt wird, in den wohlverdienten Ruhestand. Zum Abschluss haben wir ihr einige Fragen gestellt.

Nach 27 Jahren ist deine Zeit am Diözesanmuseum leider zu Ende. Wie fühlst du dich?

„Leider“ ist gut ausgedrückt. Ich hatte eine gute Zeit hier im Museum, und die Arbeit war immer sehr vielseitig und anspruchsvoll. Aber, alles hat seine Zeit! Der Abschied ist auch mit einem guten Gefühl verbunden! Denn nun eröffnen sich andere Perspektiven und Neues ist zu entdecken.

Deine Aufgabe war unter anderem die Betreuung der Sammlung. Was genau bedeutet das? Welche Arbeiten umfasst dieser Bereich?

Die Betreuung der Sammlung ist und bleibt immer eine große Herausforderung. Die Dinge sind uns anvertraut. Wir haben als Museumsleute die Aufgabe, sie zu sammeln, zu bewahren und zu pflegen und nicht zuletzt sie im Bewusstsein der Museumsbesucher zu verankern. Hinter jedem Objekt, das wir sehen und in den Händen halten können steht so vieles mehr. Die jedem Ding eigene Geschichte erzählen zu können, ist ebenso notwendig wie wunderbar.

Die Kunstwerke sind Ausdruck individueller Aussagen über das Kreative in uns Menschen. Wir scheinen hinter ihnen auf, ob als Kunsthandwerker oder Künstler, ob als Stifter oder Sammler. Das hat alles viel miteinander zu tun. Das hat mich als Kuratorin immer interessiert und begeistert. Das gilt gleichermaßen für die Inventarisation, die wissenschaftliche Recherche, die Ausstellungsplanung, den Ausstellungsaufbau wie auch, und das nicht zuletzt, für die besucherorientierte museumspädagogische Arbeit.

Und es bleibt ein weiterer Punkt gern getaner Arbeit. Es war die Betreuung zahlreicher Schüler und Studenten aus der Region, aber auch aus Russland, Kasachstan, Usbekistan und sogar aus China. Sie wollten im Praktikum das Alltagsgeschäft der Museumsarbeit kennenlernen. Es war allen zu Beginn kaum vorstellbar, dass sich hinter den Kulissen der „stillen“ Schausammlung unterschiedlichste Tätigkeiten verbergen. Das hat alle gleichermaßen erstaunt und ihren Blick auf den Kulturstandort Museum und seine Aufgaben erheblich erweitert. Einige von ihnen haben dann tatsächlich ihre Berufung im Studium der Museologie, Kunstgeschichte oder Restaurierung gefunden. Das freut mich sehr und setzt Vertrauen in die kommende Generation.

 Ursula Pütz mit ihrem Lieblingswerk, der „Unterweisung Mariens“

Ursula Pütz mit ihrem Lieblingswerk, der
„Unterweisung Mariens“
Die Museumssammlung ist sehr umfangreich. Neben absoluten Highlights mittelalterlicher Skulptur und Schatzkunst, umfasst die Sammlung auch Gemälde, Textilien, Graphik, Münzen und vieles mehr. Hast du ein Lieblingswerk?

Ja, im Laufe der Zeit sind mir bestimmte Kunstwerke sehr vertraut geworden. Ich könnte sagen: Sie sind mir „ans Herz gewachsen“. Zum Beispiel die Figurengruppe der „Unterweisung Mariens“ aus dem ehemaligen Paderborner Zisterzienserinnenkloster, der späteren Gaukirch-Pfarrei. Eine für mich unbeschreiblich anrührende Skulptur aus dem frühen 15. Jahrhundert. Ihr anmutiges Erscheinungsbild hat mich seit den ersten Tagen im Museum besonders berührt. Es zeigt die Heilige Anna, die ihre Tochter Maria im Bibelstudium unterweist. Gemeinsam halten sie zwischen sich das „Buch des Heils“. Beide in völliger Konzentration einander zugewandt und durch das Buch zwischen ihnen formal innig verbunden. Besser lassen sich Empfindung und Emotion kaum ausdrücken.

Im Museum ist immer viel los. Ein Projekt jagt das nächste. Gibt es eine Ausstellung oder ein Projekt an das du besonders gerne zurückdenkst?

Ja, jede Ausstellungsvorbereitung beginnt mit den nämlichen Herausforderungen. Alles ist erstmal Planung der Inhalte. Und schnell wächst die Vorstellung von dem wie es aufgebaut und präsentiert werden kann. Es folgt die Logistik als schnöder Verwaltungsakt: Anfragen bei Leihgebern, Leihverträge, Versicherungen. Wenn dann die Leihgaben kommen, ausgepackt und angeschaut werden, schlägt plötzlich das Herz heftiger. Und doch hat jede Ausstellungsvorbereitung ihr Eigenleben, ihren nur ihr eigenen Rhythmus.

Besonders gerne erinnere ich mich an die Ausstellung „Göttliche Ordnung und vermessene Welt“. Sie widmete sich dem Leben und Werk des Warburger Goldschmieds und Kupferstechers Antonius Eisenhoit. Er war in der Zeit um 1600 für den Papst in Rom und für zahlreiche adelige Auftraggeber aus der Region tätig. Da gaben sich Himmelsgloben, astronomische Geräte, Portraitstiche, Vorzeichnungen für Tafelgemälde und viele andere Arbeiten des Künstlers ein Stelldichein in unserem Museum. Programme für museumspädagogische Veranstaltungen zu entwickeln war hier wie auch bei zahlreichen anderen Ausstellungen eine besondere Herausforderung, die ich nur allzu gerne zusammen mit dem Team der museumspädagogischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf den Weg gebracht habe.

Ursula Pütz im Museumsdepot
Ursula Pütz im Museumsdepot
27 Jahre sind eine lange Zeit. Die Museumswelt hat sich sehr verändert. Wie hat sich dies im Diözesanmuseum bemerkbar gemacht? Worin siehst du die Zukunft des Hauses? Und gibt es etwas, dass du den „jungen“ Kolleginnen und Kollegen mit auf den Weg geben möchtest?

Meine Anfänge im Museum waren noch weitgehend analog. Ich erinnere mich an die einzige elektrische Schreibmaschine, auf der ich die Leihverträge getippt habe. Ich erinnere mich an so manche Tour mit dem Auto in alle Himmelrichtungen unseres Erzbistums und weit darüber hinaus, um Leihgaben abzuholen, stets verbunden mit dem bangen Gefühl, ob alles gutgehen würde, und wir sicher den Zielhafen des Museums erreichen würden. Ich erinnere mich an den ersten und einzigen Internetzugang zur Vorbereitung der ersten großen Ausstellung „799. Kunst und Kultur der Karolingerzeit“ im Diözesanmuseum 1999. Das alles ist heute kaum noch vorstellbar. Allerdings war der Stress nicht wesentlich geringer als heutzutage, wo die Mitarbeiter zahlreicher sind, die digitale Kommunikation vieles einfacher und schneller macht, und die Transporte vom Kunstspediteur durchgeführt werden.

Ganz wichtig für die Zukunft unseres Museums bleibt die Vermittlung der christlichen Kunst und ihrer Inhalte. Dabei kommt der Präsentation der umfangreichen eigenen Sammlung ebenso viel Bedeutung zu, wie den Sonderausstellungen mit großen übergreifenden Themen. Mit den heutigen Möglichkeiten der digitalen Vermittlung lässt sich vieles wesentlich anschaulicher darstellen und vertiefen als es die kurzen Beschriftungen an den Objekten mit sich bringen konnten. Das ist in meinen Augen ein großer Gewinn. Meine Erfahrung in Führungen „von Angesicht zu Angesicht“ zeigt aber auch, dass das Gespräch mit den Besuchern ein immer noch sehr fruchtbares Ergebnis für beide Seiten mit sich bringt.

Was möchte ich den nachfolgenden Generationen mit auf den Weg geben? Es ist ein Bewusstsein dafür zu entwickeln und zu spüren, dass die Vergangenheit in unserer Zeit einen Wert besitzt, den wir schätzen und weitertragen müssen. Meine Mentorin im Studium zitierte häufig eine Bemerkung aus mittelalterlicher Quelle: „Wir sind Zwerge auf den Schultern von Riesen“.

Abschied nach 27 Jahren
Abschied nach 27 Jahren
Und nun ganz privat: Was sind deine Pläne für den Ruhestand? Viel Zeit für Kreatives?

Ja! Das ist wirklich ein weites Feld! Endlich wieder Zeit zum Lesen zu haben, mit Muße in die Welt zu gehen, zu fotografieren, zu zeichnen, zu gärtnern auch. Einfach sein und einfach machen, was gefällt. Verreisen, Museen und Ausstellungen besuchen. Und was ganz wichtig ist: mit lieben Freunden gesellig sein. Das wird alles wieder eine große Rolle spielen. Wir werden sehen! Ich freue mich darauf.

Vielen Dank, liebe Ursula, für deine langjährige Arbeit! Wir werden dich, deine Expertise und deine fröhliche Art vermissen!

Das Gespräch führte Britta Schwemke.

Fotos: Britta Schwemke

Blick in die Rubens-Ausstellung, Foto © DiözesanmuseumPaderborn, Kalle Noltenhans

Auf der obersten Ebene des Diözesanmuseum erwartet die Besucher*innen Überraschendes. Wie schon bei den großen Ausstellungen zu den „Wundern Roms“ oder der Caritas ist auch bei „Peter Paul Rubens und der Barock im Norden“ wieder Zeitgenössisches zu sehen. Gemeinsam mit Museums-Direktor Christoph Stiegemann hat Christiane Ruhmann diese Ausstellungsabteilung kuratiert.

Klangvolle Namen – kraftvolle Werke

An der Stirnwand hängt ein großer Farbwirbel, er stammt von Gerhard Richter, dem wohl bekanntesten deutschen Künstler der Gegenwart. Den Raum davor dominiert eine imposante, dynamisch gedrehte Säule des international renommierten Bildhauers Tony Cragg. Mit der wandfüllenden Schwarz-Weiß-Arbeit „Komm, du süße Todesstunde“ greift die Grande Dame der Konzeptkunst Rune Mields das Thema der „ars moriendi“ – der „Kunst des Sterbens“ auf. Der belgische Multimedia-Künstler Hans Op de Beeck ist mit zwei poetischen Video-Arbeiten vertreten und – wie schon bei vergangenen Ausstellungen – sind wieder Werke des Münchner Foto- und Videokünstlers Christoph Brech zu sehen. Installationen des polnischen Künstlers Dominik Lejman, der britischen Regisseurin und Künstlerin Sam Tayler-Johnson und der deutschen Videokünstlerin Sonja Toepfer thematisieren das ewige Werden und Vergehen.

Selbst-Inszenierung

Warum zeigen Sie zeitgenössische Arbeiten in einer Barock-Ausstellung, Frau Ruhmann? „Unsere Ausstellungen präsentieren ihr jeweiliges Thema immer sehr dicht und mit einer Fülle von Exponaten, da haben wir gute Erfahrungen damit gemacht, wenn die Besucher*innen am Ende eine Abteilung finden, mit der sie assoziativer, spielerischer umgehen können und die ihnen vielleicht das in ferner Vergangenheit liegende Thema ein wenig in ihre eigene Gegenwart spiegelt“, erklärt die Kuratorin. „Wir schauen also immer, ob es Bezugspunkte in der aktuellen Kunst gibt, ob und wo sich unser Thema in der heutigen Zeit wiederfindet. Natürlich ist unsere Auswahl sehr ausstellungs- und auch Kuratoren-bezogen, andere Kuratoren würden das vielleicht ganz anders machen. In der Ausstellungsvorbereitung haben wir erwartete, aber auch unerwartete Ähnlichkeiten zwischen dem Barock und unserer Zeit gefunden. Zum Beispiel ist dem Barock die ganze Welt ein Theater. Man war vom Schöpfer in der Welt platziert worden und hatte ein seinem Stand entsprechendes Leben zu führen. Das „Sich-selbst-inszenieren“ – nun in einer selbst gewählten Rolle ? – ist etwas, das heute für viele Menschen wieder stark im Vordergrund steht.“

Blick in die Ausstellung "Peter Paul Rubens und der Barock im Norden". Foto ©DiözesanmuseumPaderborn/Bezim Mazhiqi
Blick in die Ausstellung „Peter Paul Rubens und der Barock im Norden“. Foto ©DiözesanmuseumPaderborn/Bezim Mazhiqi

Das große Welttheater

Die Metapher des „Großen Welttheaters“ bildet in der Rubens-Ausstellung die Überleitung zur Abteilung „Aktualität des Barock“. Es ist eine Chiffre, die im Barock allgegenwärtig ist und von Wissenschaftlern ebenso in Anspruch genommen wird, wie von Künstlern und Politikern. Im gleichnamigen Theaterstück des spanischen Dichters und Dramatikers Pedro Calderón de la Barca wird die irdische Wirklichkeit als Inszenierung des göttlichen Regisseurs gezeigt. Was im Diesseits wichtig erscheint, wird hier als vergänglich, als Schein und Maskerade entlarvt. Ist da eine Verbindung zwischen dem Barock und unserer Zeit zu finden? Christiane Ruhmann deutet auf eine Vitrine: „Wir zeigen eine Handschrift von Calderón de la Barcas „Das große Welttheater“. Dort betreten die Menschen durch die Tür des Lebens die Bühne, agieren in ihrer Rolle und treten durch die Tür des Todes wieder ab. Der Schöpfer entscheidet, ob sie das gut gemacht haben und einen Platz an der Tafel des Herrn bekommen. Heute kreieren Menschen ihre Rollen, zum Beispiel die Influencer im Internet, um sich darzustellen, zu präsentieren, in Szene zu setzen. Da geht es wohl nicht mehr darum die ewige Seligkeit zu erlangen, sondern um möglichst viele Likes. Dieses Repräsentieren und das Einnehmen einer bestimmten Rolle, das ist aber schon sehr barock.“

Blick in die Ausstellung, Foto © DiözesanmuseumPaderborn, Kalle Noltenhans
Blick in die Ausstellung, Foto © DiözesanmuseumPaderborn, Kalle Noltenhans

Die ewigen Fragen

Der Künstler Hans Op de Beeck setzt das in seinen Arbeiten poetisch-theatralisch in Szene. In seinem Video „Parade“ betreten Menschen in den unterschiedlichsten Ausstattungen eine Bühne, überqueren sie, um sie auf der anderen Seite gleich wieder zu verlassen. Unsichtbare Hände heben von oben die jeweils passende Kulisse ins Bild. Schaut man dem eine Weile zu, wird deutlich: Der Künstler vermag es bewunderungswürdig, beim Betrachter die Frage nach dem Sinn und auch nach sich selbst auszulösen: Warum bin ich in diese Welt gestellt? Was tue ich hier?

„Was mich auch fasziniert, ist die Behandlung des Todes im Barock“, sagt Christiane Ruhmann. „Da heißt es ‚pflücke den Tag‘, ‚das Leben ist kurz‘ oder ‚stirb auf die richtige Art und Weise‘. Die ‚Kunst des Sterbens‘ – das ist sehr barock. Heutzutage will das keiner mehr wissen, ich schließe mich da ein. Man möchte sich nicht damit auseinandersetzen, wie es am Ende aussieht.“ Mit diesen Themen setzt sich auch Rune Mields auseinander, wenn sie in ihrer Arbeit „Komm, du süße Todesstunde“ Johann Sebastian Bachs gleichnamige Kantate mit einer menschlichen Figur und einem Skelett in Beziehung setzt. Sie ruft die Gegensätze auf: Leben und Tod, Lust und Last, Rosen und Dornen und betont diesen Dualismus durch den Gegensatz von Schwarz und Weiß. Doch Mensch und Tod umarmen sich – der Tod wird so zum Teil des Lebens.

Die Kunst und die Kraft der Wirbel

Kuratorin Christiane Ruhmann hat sich, bei ihrer Suche nach zeitgenössischen Arbeiten, durch Aspekte des Theatralischen und die Beschäftigung mit der Vergänglichkeit leiten lassen. Auch das Phänomen der Überwältigung des Betrachtenden – Peter Paul Rubens beherrschte das perfekt – wurde zum Anknüpfungspunkt. In einer für die meisten Menschen bilderlosen Zeit verstand er es, sie förmlich in seine Gemälde hineinzuziehen. Großartig zeigt sich das bei der „Beweinung Christi“. „Du wirst zum Teil dieses Gemäldes, du sollst im Geschehen sein und den toten Christus betrauern, auf die Knie sinken und das Leiden unmittelbar mitempfinden. Diese Auflösung des Raumes zwischen Betrachtendem und Bild, dieses Gefangensein im Bild, das ist etwas, was mich an der Barock-Zeit sehr fasziniert“, betont Christiane Ruhmann und beschreibt, wie Rubens schon in den kleinen Vorstudien diese Wirkung anlegt: „Wenn man seine Zeichnungen und seine Modelli betrachtet, dann sieht man den Schöpfungsprozess unmittelbar. Man nimmt plötzlich gar nicht mehr so sehr das Dargestellte wahr, sondern die Art, wie es gemacht ist.“ Am Beispiel der Ölskizze von Rubens für ein Deckenfresko in der Jesuitenkirche in Antwerpen wird das deutlich. Das Motiv ist das Martyrium der hl. Lucia: „Sie ist an einen Pfahl gefesselt, aber die Szene hat etwas sehr Abstraktes, Wirbelndes, das dreht sich, das fliegt irgendwie nach oben weg“, beschreibt Christiane Ruhmann. „Hier sieht man, wie Rubens das Werk konzipiert hat. Diese Konzeption hat für mich sehr viel Ähnlichkeit mit der abstrakten Arbeit von Gerhard Richter, die wir hier ausstellen.

Der Schöpfungsprozess wird sichtbar

Richter hat einen Quadratzentimeter seiner Palette fotografiert, das Bild an die Wand projiziert und es dann mit großer Geste nachempfunden, nachgeschaffen. Auch hier ist das Ergebnis ein wirbelndes, vielleicht auch transzendentes und es changiert zwischen Malerei und Fotografie. Ausgangspunkt des Schöpfungsprozesses ist – übrigens genauso, wie mitunter bei Hans Makart (1840 – 1884), nach dem Richter sein Werk benannt hat – die Palette des Künstlers. Sowohl Richter als auch Rubens setzen sich also für das Publikum nachvollziehbar mit Schöpfungsprozessen auseinander – eine spannende Übereinstimmung, verändert durch den Lauf der Zeit. Hier habe ich mich oft gefragt, was wohl Herr Rubens zu Herrn Richter gesagt hätte. Die Kunst der Überwältigung mit den Mitteln der Malerei beherrschen sie jedenfalls beide.“

Auch die Skulptur von Tony Cragg ist „überwältigend“ – ein Wirbel, ein hölzerner, mitreißender Wirbelsturm scheint zwischen den anderen Kunstwerken durch den Raum zu fegen. Sein Titel: „It is, it isn‘t“ – „Es ist, es ist nicht“ – oder „halb im Unentschlossenen schweben“, wie Calderón de la Barca es in seinem großen Welttheater“ formulierte.

Hans Op de Beeck, Celebration, 2008, Video 16:9; Foto: Studio Hans Op de Beeck
Hans Op de Beeck, Celebration, 2008, Video 16:9; Foto: Studio Hans Op de Beeck

Die Abteilung zur Aktualität des Barock und damit auch die Ausstellung enden opulent, aber auch ergebnisoffen mit Hans Op de Beecks zweiter Arbeit: „Celebration“. Zu sehen ist ein lebendiges Bild mit einer langen, festlich gedeckten Tafel inmitten einer Wüstenlandschaft. Service-Personal steht erwartungsvoll bereit. Die weiße Tischdecke bewegt sich leicht im Wind, manchmal sind Vögel zu hören. Einzig die Gäste fehlen. Ist man hier eingeladen teilzunehmen …?

 

 

Autorin: Waltraud Murauer-Ziebach

Titelfoto:  Blick in die Ausstellung, Foto © DiözesanmuseumPaderborn, Kalle Noltenhans

…oder: Was in den letzten 40 Jahren zwischen Kunst und Kaffee geschah, das beschreibt unser Gastautor Kalle Noltenhans aus sehr persönlicher Sicht. Der Fotograf, Gestalter und langjährige Weggefährte unseres scheidenden Direktors Christoph Stiegemann hat seine Erinnerungen und seine spezielle Sicht der Dinge humorvoll auf den Punkt gebracht. Viel Spaß beim Lesen!

Die Jahrzehnte mit Christoph Stiegemann – Rückblick aus der (foto-) grafischen Ecke

Von Kalle Noltenhans

Jetzt tauche ich mal in alten Erinnerungen, und hole aus sehr persönlicher Perspektive punktuell hervor, was meine Beziehung ausmacht zu „Stiegi“, wie Nahestehende die Person des Direktors des Diözesanmuseums Paderborn, Bundesverdienstkreuz Trägers und Inhabers weiterer Ämter und päpstlicher Auszeichnungen, den lieben Professor Doktor Christoph Stiegemann manchmal, in entspannten Momenten und in einfacher Sprache, nennen. Das Nachdenken, Ordnen, Materialsichten, Aussortieren und Verwerfen zu diesem Beitrag führt beim Lesen zu der Einschätzung: „aha, Kalle schreibt seine Memoiren“. Wäre zu hoch gegriffen. Er gräbt nur etwas im Langzeit-Gedächtnis.

Die Vor- und Frühgeschichte

erster Job 1976

1975 : Die „G“

Auslöser für die dauerhafte Begegnung war ein einziger Zufallsmoment und ein paar Kontaktweitergaben in dessen Folge, die für mich so entscheidend und lebensprägend waren, dass ich sie hier unbdingt voranstellen muss: 1976 (das ist noch gar nicht so lange her) fotografierte ich auf ihr Bitten hin eine entfernte „Bekannte“ – alle, auch ihr Freund, nannten sie die „G“, warum auch immer. Ich zog die Schwarzweiß-Version des G-Fotos im Format 50 x 60 cm auf eine Holzplatte, schleppte die Platte in meine „Ente“ (Citroën 2CV), als in genau dem random moment Nachbar Eberhard Chronz aufkreuzte, Pfeifenraucher und langjähriger Leiter des katholischen Medienzentrums (heute IRUM), und fragte: „Haben Sie das fotografiert? Können Sie mir für eine Libori-Ausstellung auch den Liborischrein fotografieren ?“ „Yup!“. Die Ausstellung fand dann statt am damaligen Sitz des Medienzentrums, im Haus Rathausplatz 7 – heute Café Bar Celona.

Durch diesen Fotojob hatte ich den ersten Kontakt zum gerade neu errichteten Diözesanmuseum, damals noch als Bausünde im Schatten des Doms verkannt und bekämpft, seinerzeit befindlich unter der Leitung von Domvikar Prof. Karl-Josef Schmitz und dessen Assistenten Hermann Maué, Stiegemanns direktem Vorgänger. Schmitz wurde von seiner Umgebung ehrfürchtig nur „Herr Professor“ genannt. Ein liebenswertes Nervenbündel, welches nebenbei das Kursbuch der Deutschen Bahn auswendig wusste und – ich schweife leider ab – einen exotischen DAF fuhr. Maué kannte mich nun, und ich durfte 1977 als Folgeauftrag einige wenige, in jeder Hinsicht unglaublich schlimm geratene Fotos von Exponaten für den Ausstellungskatalog „Goldschmiedekunst im kurkölnischen Sauerland aus 8 Jahrhunderten“ abliefern. Da half auch die eindruckschindende geliehene Blitzanlage nicht wirklich.

Katalogtitel Goldschmiedekunst, 1977

1980: Maué ging, Stiegemann kam, hatte eigenen Fotobedarf, stieß bei internen Recherchen auf mich und rief mich auf meinem olivgrünen Telefon mit Wählscheibe an. Oder war es beige? Wir siezten uns. Schon recht bald gelang es Stiegemann mühelos, die erbitterten Museumsgegner umzudrehen und zu glühenden Verehrern des Böhm-Baus zu machen.

An dieser chronologischen Stelle, aber nicht aus vergleichbarem Anlass, sei nun ein Hinweis auf das inzwischen allgemein-verfängliche Zitat am Schluss des Liebes- und Emigrations-Filmdramas  „Casablanca“ von 1942 erlaubt, als Rick Blaine den „Beginn einer wunderbaren Freundschaft“ ankündigt. Schluchz. Stiegemann ist Cineast, ich nicht, wir sind trotzdem Freunde.

Wie im Weichbild der Stadt, so auch einsam auf der Paderborner Hochfläche leicht identifizierbar : Christoph Stiegemann,  2.1.2005

Get together*

Ende 1980 kamen wir zusammen. 10 Jahre lang habe ich für Christoph ausschließlich fotografiert. Analog – der Computer war noch nicht erfunden. Gelayoutet wurde von Schriftsetzern und Reprofotografen in Druckereien. Von einer „beruflichen“ Zusammenarbeit spreche ich lieber nicht. Beruf – das klingt sehr ernst und sehr groß. Einen Beruf haben Ärztinnen, Anlageberater und Fleischereifachverkäuferinnen. Ich sehe mich bis heute als medialen Erfüllungsgehilfen. Nebenberuflich, weder dazu ausgebildet noch durch Studium befähigt, sondern an der Tischkante gelernt. Denn im kontrastweise ausgeübten sogenannten „Beruf“ saß ich bei der Firma Nixdorf Computer AG in der Kreditoren-Buchhaltung, Buchstabe L bis Z. Goldene Jahre dort, jedenfalls für die anderen. Für die Stiegemann-Fotografiererei habe ich, tage- oder halbtageweise, in der Summe die Hälfte meines „Tarifurlaubs“ verbraten. Abgeliefert wurden Farbdias und vor allem selbstentwickelte Schwarzweiß-Abzüge, letztere in – aus heutiger Sicht – erschreckend unzureichender Qualität. Für die Abbildungen z.B. im Katalog zur Ausstellung „Glas und Gemälde des 17.–19. Jh.“ (1981 Stiegemann’s erstes großes Ding im Diözesanmuseum) – siehe Beispielabbildung hier – schäme ich mich noch heute.

Ein Wiedersehen mit selbigen Exponaten gab es übrigens 2020 im Residenz-Museum Schloss Neuhaus, welches die Sammlung des (Dauer-)Leihgebers inzwischen betreut. Nach 38 Jahren das selbe Zeug nochmal neu zu verarbeiten, war mir eine große Freude. In der Ausstellung 1981 faszinierten mich besonders zwei Gemälde – das einer Hausschlachtung und das Waldboden-Stilleben des O.M. van Schrieck. Doch statt profundem Kunstverständnis war mir vor allem eins wichtig (geht vielen so): Zugehörigkeit und Anerkennung in der Kunst-Szene.

*„get together“ = kein englisch, sondern ein Terminus aus der Sprache der Business-Kasper

Erstes Projekt: Katalog Glas & Gemälde, 1981

Katalog Glas und Gemälde des 17.–19. Jh., 1981
Wohlwollend ertragen: üble Fotos aus meiner Produktion im Katalog Glas und Gemälde des 17.–19. Jh., 1981
Otto Marseus van Schrieck, Waldbodenstilleben

Christoph Stiegemann bei einer literatischen Meditation (Nickerchen) in Florenz (Santa Croce ?), 28.12.1989

Nebenjob oder Privatvergnügen ?

Durch Christoph Stiegemann fand ich vermehrt Zugang und Verankerung im nunmehr geliebten und behaglichen katholischen Milieu (s. folgende Bildergalerie). In kontinuierlichen Spin-off-Prozessen wurde ich weiterempfohlen, ich lernte viele interessante Menschen kennen in Bereichen, die mir in der Beschränkung meiner öden Buchhaltungswelt verschlossen geblieben wären. Dafür bin ich sehr dankbar. Und wenn in der katholischen Messe nach der Wandlung gebetet wird „… und für alle, die im Dienst der Kirche bestellt sind“ weiß ich, dass auch wir gemeint sind.

Bildergalerie: Navigieren im katholischen Milieu mit und ohne Christoph Stiegemann

u.a. im Haushalt von Stiegemann-Vorgänger Prof. Schmitz, im Empfangsraum eines Paderborner Klosters, mit dem, 1990 noch bartlosen, früheren Leiter der Kommende Dortmund in Le Mans bei einer schönen Zigarre, im Hinterstübchen der Kirche in Gehrden oder im Garten des Anwalts Auffenberg, der die Figur des Fürstbischofs Dietrich von Fürstenberg aus den Kriegstrümmern gerettet hatte. An einem verschneiten Februartag durfte ich sie nach Feierabend fotografieren. Wofür ? Keine Ahnung. Später wurde sie restauriert und am Portal des Theodorianums angebracht.

Gerüste, Türme, Kaffeepausen

In meine fotografische Ära (1981–1991) fielen zwei Projekte,  die zu den glücklichsten und erfüllendsten meiner katholisch-nebenberuflichen Laufbahn gehören.

Dissertationspublikation zu Heinrich Gröninger, 1989

Erstens: die fotografische Begleitung von Christoph Stiegemanns als vielzitiertem Standardwerk erschienener Dissertation „Heinrich Gröninger · Um 1578–1631 · Ein Beitrag zur Skulptur zwischen Spätgotik und Barock im Fürstbistum Paderborn.

Seine geistige Leistung nahm auf alt bewährte Weise Gestalt an: Wortwörtlich entstanden aus Christophs Hand mit butterweichen 6b-Bleistiften und einem fest montierten Kurbelbleistiftanspitzer echte Manuskripte, von einer Verwandten mit Schreibmaschine transkribiert zu lesbaren DIN-A4-Vorlagen, die bei Bonifatius Paderborn traditionell im Fotosatz noch mal abgetippt wurden. Die Abbildungen kamen mit Hilfe von Reprofotografie und 1-Million-teurem Trommelscanner per manueller Bogenmontage hinzu. Ausgestorbene Technik.

Ich liebe Türme, Gerüste und Aussichtsplattformen. Das Fürstenberg-Grabdenkmal war in den 1980er Jahren kurz eingerüstet, und das durch Stiegemann ermöglichte Rumturnen auf und am Gerüst in 18 Metern Höhe war ein Privileg. Gröninger hatte nicht nur am Paderborner Dom gearbeitet, sondern zum Glück überall im „Hochstift“. Fotografische Außentermine gerieten zu Forschungs- und Entdeckungsreisen. Nach so einer – puzzlestückartigen – Entdeckung an der Kanzel der Kirche in Welda bei Warburg, blieb die Verschnauf- und Belohnungspause im herbstlich-trübe-verpennt-spätsamstäglichen Warburg, präzise im Café Eulenspiegel, in dauerhaft glücklicher Erinnerung. Überhaupt haben die verplauderten Kaffeepausen für mich höchsten Stellenwert. Stiegemann weiß was ich meine, wenn ich bei Reiseberichten zuerst nach dem erlebten oder unvorstellbarerweise ausgefallenen touristischen Rahmprogramm frage: „Gab es denn wenigstens einen Kaffee?“

Eissen, St Liborius

Von zentraler Bedeutung : der hl. Liborius

Zweitens: Die Vorbereitung zur Ausstellung „Liborius im Hochstift Paderborn“ Juli–September 1986. Wieder das Hochstift, wieder viel „Rumfahren“, mühsames Forschen, Entdecken ohne Google, dafür zweite Versuche, Kaffee und Kuchen beim Pastor. Aber da ich nicht die Verantwortung für den Erfolg tragen musste, kam mir die Unternehmung als willkommene Abwechslung zu meinem Büroalltag L–Z gerade recht. Seither identifiziere ich mich mit der Liborius-Verehrung und betrachte den damals noch überdurchschnittlich frommen südlichen Kreis Höxter (im Hochstift) als die Toskana Westfalens. Wir klapperten mit Christophs schnittigem Mitsubishi Colt (72 PS, 4-Gänge plus 4 Halb-Gänge !) die Dorfkirchen nach barocken Holz- und neugotischen Gipsfiguren ab. Die pseudo-neo-byzantinische Kirche in Eissen hatte ich wegen des goldenen Lichts im Innern, und besonders wegen der einzigartig ländlichen Umgebung an der Bahn-Magistrale zwischen den Metropolen Peckelsheim und Borgentreich lieb gewonnen, und siehe da, der Eindruck bei einem Wiedersehen 2018 war nahezu unverändert.

Während der Fotoreisen zu den Liborius-Stätten ging in Tschernobyl der Reaktor hoch. Man hatte zwar in den 1960ern von Zivilschutz-Instanzen gelernt, dass gegen radioaktiven Fall-Out eine über den Kopf gehaltene Aktentasche gut helfen soll, aber ein mulmiges Gefühl blieb.

Schlichter Katalogeinband zur Ausstellung Liborius im Hochstift Paderborn, 1986 mit freigestellter Liborius-Büste · Gestaltung: Bonifatius Verlag
Liborius in Eissen
Mit Letraset-Rubbelbuchstaben designtes Etikett zum gereichten Mineralwasser aus der Liborius-Quelle Bad Lippspringe, anlässlich der Eröffnung der Liborius-Ausstellung, 1986
Eissen-Seite im Katalog 1986

Barockes Feeling im Frans Hals-Museum Haarlem

Unvergessen bleibt die Reise 1987 zu einer Eigentümerin eines in deren Schlafzimmer fest verbauten (und ich behaupte scheußlichen) Kunstwerks, das zum Lebenswerk eines Künstlers* gehörte, über den eine Publikation zu verfassen war (*die Zuschreibung erwies sich später als falsch, der Künstler war rehabilitiert). Irgendwo im Münsterland. Nach der anschließenden Pizza am elektrischem Kaminfeuer ließ ich bedauerlicherweise meinen ersten Pastorenschal hängen. Ein weiteres Exemplar ging 1990 in St. Ewaldi, Dortmund-Aplerbeck verlustig. Vielleicht sollte ich mal nachschauen, ob sie noch dort hängen.

Für Hochstimmung der Extraklasse sorgten vom „Chef“ (wie man ihn im Museum anerkennend nennt) angesetzte Reisen, egal wohin. Übliche Ziele waren Kirchen in der Region, Pfarrhaushalte, verarmte Adelssitze und versteckte Bildstöcke, oder was sonst für seine kunsthistorischen Aufsätze, Beiträge, und Kataloge fotografiert werden musste. Manchmal schauten wir uns an, was die anderen machen: Ausstellungen finden schließlich auch in Antwerpen, Berlin oder Utrecht statt. Derlei Reisen gelten für mich persé als gelungen – sogar, wenn man unerwartet vor verschlossenen Türen, verstellenden Gerüsten oder thematisch unwillkommenen Weihnachtsbäumen stand und nur das touristische Rahmenprogramm griff. Kirche, Kunst und Kultur als Background bescheidenen Lustgewinns.

Wiederholtes Reiseziel: der Kanal Damse Vaart von Sluis bis Brugge. Spielt auch für die Rubens-Ausstellung 2020 eine Rolle. Links: 1983 · rechts: 2008

Gezeitenwechsel – ab jetzt alles digital

Ur-Entwurf des Diözesanmuseum-Logos von Michael Pitschke, ohne die später hinzugefügte Sub-Linie plus Kontrapunkt

Verspätet ab 1990 brach auch für uns ein neues Zeitalter an. Computer, Rechner, PCs, wie man so sagte, hielten Einzug in meine und seine und die ganze Welt. In kleinen Schritten seit DOS und Windows 3.1 wurde viel Geld für Hard- und Software verpulvert. Die Wiedereröffnung des Diözesanmuseums nach der großen Umbaupause 1991 bis 1993 stand an. Mein erstes Buch layoutete ich in dieser Zeit in Aldus PageMaker: Bilder und Schriften Band 1. Für die Renovierung des Museums-Designs war auch ein neues Logo fällig, noch mit dem Rapidographen (Tuschezeichenstift) entworfen, und in CorelDraw digitalisiert. 1993 dann ging schon fast alles mit Bordmitteln, nur die Digitalfotografie fehlte noch.

Key Visual über Papst Johannes Paul II. am 12.6.1996 in Bad Lippspringe. Heute hätte man das Motiv die ganze Rückwand ausfüllen lassen.

1996 griff man im Zusammenhang des Besuchs von Papst Johannes Paul II. in Paderborn auf mich zurück, um ein Key Visual für den Papst-Besuch in Paderborn zu schaffen. Rückwirkend eine wunderbare Erfahrung:  Gemeinsam (fast) unmittelbar für einen wirklichen Heiligen gearbeitet zu haben.

Erst wurden noch Disketten ausgetauscht – zwischen Christoph und mir, zwischen mir und der Druckerei. Doch wir wurden routinierter und professioneller. Ich finde es großartig, wie er es vermag, den Aufbau und das sowohl ideenreiche als auch inhaltlich plausible und starke Gesamtbild einer großen Ausstellung in der komplexen Architektur des Diözesanmuseums visionär nur im Kopf entstehen zu lassen, und diese Vision dann Stück für Stück real werden zu lassen. Dabei hat er einen guten Sensus für Falsches, und Falsches vermeidet er konsequent, gemäß des Spruches aus dem früher gern gelesenen Vorwort von Thomas Hoof im Kundenmagazin des Versandhandels für die guten Dinge Manufactum, bei dem wir trotzdem nicht kaufen: „Es gibt kein richtiges Kaufen im Falschen.“ Stiegemann’sche Seriösität als Erfolgsfaktor. Oft habe ich seine Vorstellungen wie im Blindflug erst verstanden, wenn sie im Museumskontext fertig gebaut waren.

Schnellhefter brachten mich auf die Palme

Wenn es sein musste, saß Christoph als „Art Director“ in „gemütlichen Computer-Sessions“, mit mir nächtens am Rechner und gab seine Vorstellungen bekannt, während ich wusste, mit welchen Photoshop-Effekten und Programm-Kombinationen das Gewünschte zu erreichen war. Wir erstaunten uns dabei gegenseitig. Pläne und Skizzen brachte er in Schnellheftern mit, wohl wissend, dass ich diese Hefter nicht ausstehen konnte. Wahrscheinlich als eine mild-diabolische Form des Sympathiebeweises zu verstehen. Das Foto zeigt zwei Schnellhefter, die ich zum Glück vergessen hatte zu entsorgen.

In den Jahren entstanden hunderte von Foldern, Heften, Büchern, Plakaten, Karten, Anzeigen und Internet-Seiten. Wozu? Stiegemann sagt: „Das ist das einzige, was bleibt.“ Nur den Internetseiten mangelt es an Dauerhaftigkeit.

Kulisse auf Museumsebene 3 in der Ausstellung Wunder Roms, 2017

Rom-Zeichnung (um 1535) von Maarten van Heemskerck 

Detail-Ansicht der fertigen Kulisse
25.000 Pixel-Bild in Photoshop

Die Ausstellung Wunder Roms, 2017, brachte eine Aufgabenstellung mit, die ich als mein bisher aufwendigstes und schwierigstes Photoshop-Projekt ansehe. Gefordert war eine über 25 laufende Meter abgewickelte Gesamtkulisse, die eine zwar nicht reale, aber sinnfällige Anmutung der abgewirtschafteten und ruinösen Stadt Rom vor Beginn des Renaissance-Zeitalters ermöglicht, ähnlich, wie Rom-Reisende jener Zeit, z.B. der niederländische Künstler Maarten van Heemskerck, den Zustand fasziniert in Zeichnungen festgehalten hatten.

Ich erhielt 9 historische Graphiken, die zu einem Ganzen zusammengefügt werden sollten. Die Schwierigkeit bestand darin, dass die Quellen perspektiv, maßstäblich, zeichnerisch und von der Datenqualität sehr unterschiedlich waren. Zudem musste die Geometrie der Museumsebene berücksichtigt werden, genauso wie einzuplanende Lücken in der Motivik der Kulisse, um Vitrinen zu platzieren. Die grafische Arbeit zog sich über Wochen hin, doch Christoph Stiegemanns Ermunterungen und Hilfestellungen, vor allem seine Fähigkeit, Probleme runterzuskalieren, führten letztendlich zu einem guten Ergebnis.

Christoph Stiegemann bei Maßnahmen zur Canossa-Ausstellung, 28.6.2006

Zuletzt

Darf es noch eine kleine Anekdote sein ?

Als ich, wirklich aufgelöst vor Ärger, Wut und Trauer, 2002 mit dem Fahrrad zum Museum fuhr, um mich bei Christoph auszuheulen, nämlich darüber, dass ich mir soeben von einem betrügerischen Autoaufkäufer meinen 1994er (also 8 Jahre alten) 90PS Golf Diesel  für einen 3-stelligen Spottpreis unwideruflich hatte abkungeln lassen, in der Erwartung, dass er mich bedauert und Trost spricht, hat er nur schallend gelacht. Sein Rat: „Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen“. Die Weisheit habe ich mir zu eigen gemacht und in mein festes Repertoire übernommen.

Vieles kann ich mir vorstellen, aber nicht, dass Christoph Stiegemann das Diözesanmuseum Paderborn verlässt, man ihn nicht mehr fragen kann: „Soll die Anzeige so raus ?“ oder nicht mehr darauf zu spekulieren, dass er auf Bahnreisen kleingeschnittene Äpfel aus eigener Produktion gerecht als Reiseproviant verteilt. Zum Heulen.

Was dann ? Ja, man könnte versuchen, ihn in den Shops der einschlägigen Museen, in Bahnhofsbuchhandlungen und im Eiscafé Fontanella auf der Frankfurter Kaiserstraße – seit 1957 – zu treffen. Einfach wird das nicht, denn er geht seinen eigenen Weg.

Prof. Dr. Christoph Stiegemann vor der Beweinung Christi. , um 1612, Vaduz-Vienna, LIECHTENSTEIN, The Princely Collections © Diözesanmuseum Paderborn/Besim Mazhiqi
Prof. Dr. Christoph Stiegemann vor der Beweinung Christi. , um 1612, Vaduz-Vienna, LIECHTENSTEIN, The Princely Collections © Diözesanmuseum Paderborn/Besim Mazhiqi
Prof. Dr. Christoph Stiegemann vor Peter Paul Rubens „Beweinung Christi“ , um 1612, Vaduz-Vienna, LIECHTENSTEIN, The Princely Collections © Diözesanmuseum Paderborn/Besim Mazhiqi
Ein Gespräch mit Museumsdirektor Christoph Stiegemann über Kunst im Barock, große Gefühle, starke Influencer, inszenierte Kommunikation und politisches Kalkül.
Sie haben zu einem Barock-Thema promoviert und Ihre letzte Ausstellung als Direktor des Diözesanmuseums Paderborn widmet sich ebenfalls dieser Epoche.
Was fasziniert Sie an dieser Zeit?

Das Thema ist unheimlich spannend und hat eine ganz eigene Aktualität. Die Epoche ist gezeichnet von Katastrophen, Seuchen, Kriegen und Verwerfungen in der Auseinandersetzung der Konfessionen. Anders als die Renaissance, die sich der Wirklichkeit mit unglaublichem Optimismus zuwendet, schwingt im Barock ein pessimistischerer Ton mit. Hier ist die Flüchtigkeit der Zeit eine elementare Erfahrung. Man versucht jetzt das Erlebnis zu steigern, im Augenblick zu leben, dieses carpe diem, grundiert von einer dunklen Tonlage. Darin besteht, denke ich, die unmittelbare Aktualität. Wir haben das in diesem Jahr mit Corona erlebt, dass auf einmal dieser das öffentliche Leben kollabierte, alles ruhte, alles stagnierte.

Wissenschaftlich habe ich mich mit den Themen dieser Epoche in meiner Dissertation über Heinrich Gröninger und die Skulptur zwischen Spätgotik und Barock* beschäftigt. In Gröningers großartigem Grabdenkmal für Dietrich von Fürstenberg wird schon das Thema des Werdens und Vergehens aufgerufen. Dieses Spannungsfeld hat mich ganz nachhaltig geprägt und fasziniert. Und quasi auf der Zielgeraden, zum Ende meiner Zeit als Direktor des Diözesanmuseums Paderborn, kann ich thematisch einen Bogen schlagen,  mit der Ausstellung „Peter Paul Rubens und der Barock im Norden“. Das ist wunderbar.

„Barock ist eine Kommunikationsform“, schreiben die Autoren einer Forschungsgruppe der Universität Paderborn im Ausstellungskatalog. Welche Art der Kommunikation ist gemeint?

In unserer Ausstellung zeigen wir den Barock als Reaktion auf die Reformation, in seiner katholischen Ausrichtung. In dieser Zeit wird die Wirkkraft des Bildes gegen die Macht des Wortes gestellt. Die Werke dieser Epoche vermögen die Menschen auf eine völlig neue Art zu beeinflussen und zu prägen. Auch die Kirchenräume werden neu gestaltet, sie werden inszeniert. Durch die Barockisierung und das perspektivische Gitter im Paderborner Dom können die Menschen jetzt den Raum als Ganzes erfassen. Das setzt einen Betrachterstandpunkt voraus, wie in unserer modernen, medialen Auffassung. Das ist radikal neu und verbindet sich mit der barocken Grundausrichtung der Kunst, die den Betrachter bewegen will. Emotionale Bindung und ‚Überwältigung‘ sind ganz entscheidende Größen. Man inszeniert in der Gegenreformation auch – beispielsweise zu Ostern – die heiligen Gräber wie Bühnenbilder. Sie werden indirekt beleuchtet und strahlen eine enorme Faszination aus. So bringt man die Menschen wieder in die Kirchen. Hier in Paderborn, in der Jesuitenkirche, werden dann Kirchenbänke aufgestellt, um die Verweildauer zu erhöhen. Auch das ist neu, bisher ging man ambulant von Altar zu Altar und hat den Raum nie als Ganzes erlebt.

Peter Paul Rubens: Das Martyrium der hl. Lucia, um 1610/1620, Quimper, Musée des Beaux-Arts de Quimper © bpk / RMN-Grand Palais / Mathieu Rabeau
Peter Paul Rubens: Das Martyrium der hl. Lucia, um 1610/1620, Quimper, Musée des Beaux-Arts de Quimper © bpk / RMN-Grand Palais / Mathieu Rabeau

Ein Meister barocker Überwältigung war Peter Paul Rubens. Das macht die Dynamik seiner Figuren-Kompositionen ebenso deutlich wie die Dramatik der Darstellung, etwa in seinem Modello „Martyrium der heiligen Lucia“: Rubens zeigt den Todesstoß der an den Pfahl angebundenen Lucia, bei dem der Henker in einer unglaublichen Bewegung quasi optisch aus dem Bild herausspringt und im nämlichen Moment mit der Rechten zurück stößt, in den Hals der Märtyrerin. Das sind diese absolut bewegenden, packenden Bildprinzipien, und Rubens ist eben der erste, der das in dieser bis dato nie gesehenen Form entwickelt, mit einer Lebendigkeit, einer Freiheit, einer Dynamik und aus der Farbe geboren – das ist eine völlig neue Kategorie.

Rubens war der Malerstar seiner Zeit. Er war bekannt, einflussreich, wohlhabend. Wie hat er das erreicht?

Er ist einer der ersten großen selbstbewussten Künstler nördlich der Alpen und organisiert einen riesigen Atelierbetrieb. Da bringt er seine Ideen, die er in den Modelli, den kleinen Skizzen festhält, erstmal auf Holztafeln und sie werden in gigantische Formate übersetzt. Rubens weiß seine Truppe zu steuern und prägt quasi das Label ‚Peter Paul Rubens‘. Er ist als Influencer auf dem allerneusten Stand. Die Kompositionen, die er malt, lässt er durch Bravourstecher in Grafiken umsetzen, und die Abzüge werden vom Meister autorisiert. Der Kupferstich wird so zum Instrument der Profilierung und weltweiten Verbreitung. Heute wäre das der Computer, das Internet.

Kupferstich: Jacob Matham nach Peter Paul Rubens: Samson und Delila, verm. um 1613, Kupferstich, Siegerlandmuseum, Foto: Siegen, Siegerlandmuseum im Oberen Schloss
Kupferstich: Jacob Matham nach Peter Paul Rubens: Samson und Delila, verm. um 1613, Kupferstich, Siegerlandmuseum,
Foto: Siegen, Siegerlandmuseum im Oberen Schloss

Rubens neuartige Bildsprache wird überall verstanden, und über die grafischen Vorlagen verbreiten sich seine Motive. Sie werden kompiliert und neu komponiert. Das sehen wir auch bei den Brüdern Willemssens in Paderborn. Antonius, der Maler, entnimmt einer solchen Vorlage zum Beispiel die kniende Hirtin – aus einer „Anbetung der Hirten“. Die baut er dann groß in sein Paderborner Altargemälde ein. Die Bildhauer machen es nicht anders. Sie haben die Vorlagen von Rubens dabei und entwickeln daraus ihre eigenen Kompositionen. Das ist neu, und das zeigt unsere Ausstellung, die ja fragt: Wie hat sich der Barock im Norden ausgebreitet und auf welche Weise hat Rubens diese Entwicklung geprägt?

Wir haben über den Barock mit seiner Wirkweise und als Kommunikationsform gesprochen, wie sieht es mit seiner politischen Dimension aus? Eine Kunst mit so machtvollen Bildern muss damals auch eine scharfe Waffe gewesen sein. Wie hat man die genutzt?

Die politische Dimension ist ein ganz wichtiger Aspekt, denn die Kunst des Barock, wie Rubens und sein Umfeld, wie Antwerpen sie geprägt haben, ist eine Stimme der katholischen Reform, der Gegenreformation. Die Konfessionen stehen sich in harten Auseinandersetzungen gegenüber. Das sehen wir auch in Paderborn: Am Ende des Dreißigjährigen Krieges ist die Existenz des geistlichen Fürstentums, in dem der Bischof zugleich Landesherr war, eigentlich zu Ende. In den Friedensverhandlungen wird beschlossen, Paderborn zu säkularisieren und es soll in Teilen an Hessen fallen. Das Paderborner Domkapitel schickt eine Petition an den französischen König und bekommt wirklich einen Schutzbrief von König Ludwig XIV. Die aufstrebende europäische Großmacht sichert die Existenz des Fürstbistums. Nach furchtbaren Verheerungen – noch 1636 hat der zweite Ausbruch der Pest allein in der Marktpfarrei 450 Tote gefordert – ist man wieder wer. Das muss gezeigt werden! Mit ‚Bordmitteln‘ geht das nicht, es muss Input von außen her. So wird zunächst der Jesuit Paul Bock aus dem Süden nach Paderborn geholt und er entwickelt das perspektivische Gitter für den Dom. Bock hat wohl auch die Brüder Willemssens aus Antwerpen empfohlen. Sie arbeiten sechs Jahre lang in Paderborn, und es entsteht eine solch enorme Dynamik, dass es ausreicht, um hier die Kunst zu revolutionieren. Bildhauer und Maler werden ausgebildet, gehen in die Nachbarterritorien, und der flämisch geprägte Barock tritt seinen Siegeszug durch die geistlichen Territorien des Nordens an.

Und was hat diese neue, barocke Üppigkeit mit den Menschen im Norden gemacht?
Perspektivisches Gitter aus der Barock-Zeit, Paderborner Dom, Foto: DiözesanmuseumPaderborn
Perspektivisches Gitter aus der Barock-Zeit, Paderborner Dom, Foto: DiözesanmuseumPaderborn

Das, was der Barock beabsichtigt. Er bringt die Menschen in eine andere Verfassung, holt sie aus ihrer Alltagswahrnehmung heraus. Kam man damals in den Dom, um den neuen Aufbau mit dem fulminanten Chorgitter zu sehen, – besetzt mit einer Vielzahl von Kerzen – dann war das großes Theater. Diese inszenatorischen Mittel zur Überwältigung der Gläubigen wurden ganz bewusst eingesetzt. Steht man im Mittelschiff, sieht man die Altar-Trias und der ganze Raum wird fokussiert auf den Hochaltar. Die Tiefenlinien des perspektivischen Gitters scheinen auf den Altar hinzuführen und zugleich trennt das Chorgitter den heiligen Bezirk vom Langhaus. Das Heilige bleibt unverfügbar, die große Mitteltreppe bleibt den Domherren vorbehalten. Da sind die Hierarchien im Sinne des Früh-Absolutismus klar gesetzt. Hier ist man nicht selbstbestimmt. Die katholische Reform setzt die Mittel des Barock suggestiv zur Beeinflussung der Menschen ein. Es ist nicht zuletzt die Wirksamkeit der barocken Bilder, die zum Erfolg der katholischen Reform beitrug.

Vielen Dank, Christoph Stiegemann, für das spannende Gespräch!

*Prof. Dr. Stiegemann promovierte zum Thema: „Heinrich Gröninger (um 1578–1631). Ein Beitrag zur Skulptur im Fürstbistum Paderborn zwischen Spätgotik und Barock“

Prof. Dr. Christoph Stiegemann ist seit 1990 Direktor des Erzbischöflichen Diözesanmuseums Paderborn. Er übernahm 1994 zusätzlich die Leitung der Fachstelle Kunst im Erzbischöflichen Generalvikariat Paderborn sowie den Vorsitz der Kunstkommission. 1998 wurde er zum Kustos des Paderborner Domes ernannt. Im Herbst 2020 endet Christoph Stiegemanns langjährig Tätigkeit als Direktor des Diözesanmuseums.

Das Gespräch führte Waltraud Murauer-Ziebach

 

Köln, Dom, Verpacken des Rubensteppichs „Sieg der Eucharistischen Wahrheit über die Häresie (Irrlehre)“. ©Hohe Domkirche Köln, Dombauhütte; Foto: M. Deml
Nach der Ankunft in Paderborn wird der kostbare Rubensteppich ganz vorsichtig abgerollt und ausgelegt.
Nach der Ankunft in Paderborn wird der kostbare Rubens-Teppich ganz vorsichtig abgerollt und ausgelegt.
Restauratorin Sabine Heitmeyer-Löns mit ihrer Kollegin Ursula Pütz vom Diözesanmuseum Paderborn vor der Aufhängung des Kölner Rubens-Teppichs.
Restauratorin Sabine Heitmeyer-Löns mit ihrer Kollegin Ursula Pütz vom Diözesanmuseum Paderborn vor der Aufhängung des Kölner Rubens-Teppichs.
Der große Moment: Ganz sacht hebt sich das textile Kunstwerk, um seinen Platz auf Höhe der obersten Museumsebene einzunehmen.
Der große Moment: Ganz sacht hebt sich das textile Kunstwerk, um seinen Platz auf der obersten Museumsebene einzunehmen.

Ein monumentaler Bildteppich mit einer verstörenden Szene! Sein Titel: „Sieg der Eucharistischen Wahrheit über die Irrlehre (Häresie)“. Da tobt ein wilder Kampf! Zu sehen sind herabstürzende Gestalten, ein sich windender Drache, und angstvoll blickend die beiden Reformatoren Calvin und Luther, die die eucharistische Wahrheit in Frage stellten. Es war Peter Paul Rubens, der geniale Meister des Barock, der das imposante Werk entwarf. Mit der Botschaft dieser dynamischen Darstellung verband sich seinerzeit auch eine politische Positionierung gegen die Reformation und für die Stärkung der katholischen Kirche und des katholischen Glaubens.

Vom Rhein zur Rubens-Ausstellung an die Pader

Gut 4 x 5 Meter misst die Rubens-Tapisserie aus dem Besitz des Metropolitankapitels Köln. Sie ist Teil der achtteiligen Serie „Triumph der Eucharistie“. Normalerweise schlummern diese kostbaren Werke in einem Depot, nur in der Zeit von Ostern bis Fronleichnam werden sie im Kölner Dom, zwischen den Pfeilern des Mittelschiffs, aufgehängt. Für die Ausstellung „Peter Paul Rubens und der Barock im Norden“ durfte einer dieser großartigen Bildteppiche ausnahmsweise reisen.

Brüsseler Weber schufen Rubens-Meisterwerk

Das textile Kunstwerk aus Wolle und Seide wurde um 1640 in der Brüsseler Manufaktur des Frans van der Hecke gewebt. Dort standen die Webstühle aufrecht im Raum und hinter der Kette hing in originaler Größe das auf Leinwand gemalte Bild oder eine Pause des Motives. Tapisserien waren äußerst wertvolle Repräsentationsobjekte, die in Fürstenhäusern und Domkirchen hingen. „Rubens musste bei der Teppichweberei eine ganz andere Oberfläche mitdenken“, erklärt die Textilrestauratorin Sabine Heitmeyer-Löns. „Eine große Herausforderung. Wie setzt man zum Beispiel Lichtreflexe in einem gewebten Bild? Rubens hat bei seiner Vorlage die ganze Handwerklichkeit mitgedacht.“

Erhalten ohne zu interpretieren

Sabine Heitmeyer-Löns betreut die Kölner Rubens-Tapisserien schon seit mehr als 20 Jahren: „Wir kennen jeden Quadratzentimeter, weil wir sie alle nacheinander in der Werkstatt hatten“. Und so ist die Fachfrau auch dabei, als das fast 400 Jahre alte Großexponat im Diözesanmuseum Paderborn eintrifft. Sehr vorsichtig wird es ausgepackt und schließlich behutsam nach oben gezogen, an seinen Platz auf Höhe der obersten Museumsebene.

Mehr als 1.500 Stunden haben Sabine Heitmeyer-Löns und ihre Kolleginnen an dem Bildteppich gearbeitet, der jetzt in Paderborn zu sehen ist, dabei war das nicht seine erste Restaurierung. Mit der Sicherung und Erhaltung der kompletten Kölner Serie wurde Mitte der 1970er Jahre bereits die Nürnberger Gobelin-Manufaktur beauftragt. Damals dauerte die aufwändige Prozedur gut 10 Jahre. „Die Substanz der Rubens-Teppiche war schon arg mitgenommen. Die Nürnberger haben das Beste gemacht, was man tun konnte, nämlich einen sehr schönen farblich einheitlichen Baumwollstoff mit Rippen zur Stabilisierung ganzflächig hinter die Teppiche genäht. Sie haben dazu eine Technik verwendet, die wir Restauratoren heute noch als optimal ansehen“, erzählt Heitmeyer-Löns bewundernd. „Wir versuchen ja immer das Objekt so originalgetreu wie möglich zu erhalten, ohne irgendwelche Interpretationen einzutragen. Das ist wie bei Gemälden, wenn man anfängt zu retuschieren, dann fängt man auch an zu fabulieren. Das heißt, wir ergänzen, wenn es eben geht, neutral.“

Zeitgeschmack und Straßenstaub

Als die acht Rubens-Teppiche als noble Schenkung des Domdechanten Wilhelm Egon von Fürstenberg aus Brüssel in den Kölner Dom kamen, hingen sie zunächst über den gotischen Malereien der Chorschranken. Doch der Zeitgeschmack änderte sich, am Dom wurde weitergebaut, 1842 entfernte man die Tapisserien, schließlich wurden sie sogar als Bodenteppiche bei Prozessionen genutzt. Und schwer beschädigt? „Das muss man differenziert sehen, denn neue Textilen halten viel aus“, berichtet Frau Heitmeyer-Löns. „Diese Teppiche waren aber bereits alt und vorgeschädigt. Kommen dann mechanische Belastungen wie Zug, Druck oder Bewegung hinzu, reißen oder brechen die Fasern und es entstehen Löcher. Der Hauptschädigungsfaktor bei historischen Textilien ist das Licht, und eine Tapisserie, die man zeigt, ist nun einmal dem Licht ausgeliefert. Wenn sie 1000 Jahre alte Stoffe aus Reliquiaren entnehmen, die ohne Licht und Luft überdauert haben, dann sind die wie neu. Textilien leiden im Wesentlichen durch den Oxidationsprozess unter Beteiligung von Lichtwellen.“

Mit Hydraulik und Fangstich

Trotz aller Vorsicht, beim Aufhängen und Abnehmen, beim Einrollen und beim Transport könnte es zu mechanischen Belastungen kommen. Deshalb sind präventive Techniken besonders wichtig. Für die alljährliche Präsentation der Rubens-Teppiche im Kölner Dom hat Sabine Heitmeyer-Löns Hand in Hand mit dem erfahrenen technischen Team vor Ort ein modernes und schonendes Verfahren entwickelt: „Die Kirchenbänke werden verschoben, so dass Folien ausgelegt werden können, auf denen man die Teppiche vollständig ausrollen kann. Oben ist ein Tunnel eingearbeitet, durch den ziehen wir eine Gerüststange. Dann kommen Geräte aus der Veranstaltungstechnik zum Einsatz, die nehmen mit ihren hydraulischen Armen den Teppich auf und fahren ihn durch das Kirchenschiff zum jeweiligen Platz. An Drähten können die Tapisserien dann schonend auf die richtige Höhe gezogen werden.“

Eine weitere Gefahr für die frei hängenden Teppiche ist das eigene Gewicht und so müssen alte Restaurierungen immer wieder überprüft und manchmal auch erneuert werden. „An diesem Rubens-Teppich gab es große Partien, die nachgenäht werden mussten, was vielleicht daran liegt, dass der in den 1970er Jahren unterlegte Stoff nicht sehr zugfest ist. Die Technik, die wir dann verwenden, ist der Spannstich, der in der Stickerei als Klosterstich bekannt ist. Wir arbeiten ihn mit dünnem, stabilem Garn und farblich so unauffällig ein, dass er im Gesamtbild kaum wahrzunehmen ist.“ Die Museumbesucher in Paderborn können diese wunderbare Tapisserie von einer Galerie aus quasi auf Augenhöhe bewundern, ohne etwas von der aufwändigen Restaurierungsarbeit zu ahnen.

Autorin: Waltraud Murauer-Ziebach

Aufbau der Rubens-Ausstellung: Vitrine mit Kapitell und Kopf eines Engels.

… oder wie entsteht eine Ausstellung in Zeiten der Pandemie?

Gestaltungsentwurf für die Rubens-Ausstellung 2020 im Diözesanmuseum Paderborn von ©Ludger Schwarze-Blanke

Wenn Kuratorinnen zu Krisenmanagerinnen werden. Ein Gespräch mit den Ausstellungsmacherinnen Christiane Ruhmann und Petra Koch-Lütke Westhues über Kuriere im Corona-Modus, Restaurator*innen mit Maske, komplizierte Kunsttransporte, aber auch mehr Muße für Text und Buch zur Rubens-Ausstellung.

Shutdown auf der Zielgeraden

Das Diözesanmuseum Paderborn ist bekannt für seine internationalen Themenausstellungen. Es hat gute Kontakte zu großen Museen in ganz Europa und Übersee. Man kennt und vertraut sich. Doch Corona brachte auch in den Museen eingespielte Systeme aus dem Takt. Nach gut zwei Jahren Vorbereitungszeit war das Team auf der Zielgeraden, der Umbau für „Peter Paul Rubens und der Barock im Norden“ lief bereits. Dann kam der Shutdown. Eröffnung am 29. Mai? Illusorisch. Doch man blieb ruhig. „Aufgeschoben ist nicht aufgehoben!“, schrieb Museumsdirektor Christoph Stiegemann optimistisch in seinem Blogbeitrag. Aber was heißt das für die praktische Museumsarbeit, für die Ausstellung, die jetzt am 25. Juli ihre Türen für Besucher öffnen wird?

Freude über kollegiale Empathie und europäische Solidarität

Petra Koch-Lütke Westhues beim vermessen des barocken Chorgitters aus dem Paderborner Dom in der Restaurierungswerkstatt. ©DiözesanmuseumPaderborn

„Die europäische Zusammenarbeit hat bei uns wunderbar funktioniert“, sagt Christiane Ruhmann. „Alle Kollegen und Kolleginnen waren hilfsbereit und verständnisvoll. Wir können fast alles wie geplant zeigen.“ Flexibilität ist trotzdem gefragt, über 70 Leihgeberinnen und Leihgeber hat Petra Koch-Lütke Westhues erneut kontaktieren müssen. „Ich hoffe, es geht Ihnen gut! Das war immer mein erster Satz und es kamen ganz viele persönliche und ermutigende Nachrichten zurück: ‚Alles in Ordnung bei uns. Ich hoffe, Ihnen und Ihren Lieben geht es auch gut. Wenn es eben möglich ist, bekommt ihr unsere Leihgaben. Wir unterstützen Euch!‘ Man hat gegenseitig mitempfunden, in dieser Form habe ich das noch nicht erlebt.“

Mit Lupe, Maske und Abstand

Die kostbaren Exponate werden auf ihrer Reise von wissenschaftlichen Mitarbeiter/innen oder Restaurator/innen begleitet. Im Diözesanmuseum erwartet sie dann ein spezialisiertes Team mit Rollwagen, Hebebühne, Flaschenzug für die Großen und Schweren, weißen Handschuhen und passgenau angefertigten Vitrinen für die Kleineren und Empfindlichen. Wenn die Kunst kommt, muss jeder Handgriff sitzen. Wie wird das dieses Mal gehen, Frau Ruhmann? „Alles wie immer, nur mit Maske und zwei Metern Abstand. Der Restaurator wird jeden Zentimeter des angelieferten Objekts unter die Lupe nehmen, das Zustandsprotokoll anfertigen und alle andern müssen zurückbleiben.“ Darf Corona-bedingt kein Kurier mitreisen, werden die Paderborner zusätzlich filmen und noch intensiver fotografieren als sonst.

Expertenwissen und Fleißarbeit

Wie finden Sie eigentlich Ihre Leihgaben? „Als Kuratorin macht man zunächst ein Grobkonzept“, erklärt Christiane Ruhmann, „dabei hat man schon ein paar wichtige Exponate im Kopf. Das Grobkonzept kam für die Rubensausstellung von unserer Kollegin Karin Wermert. Wir intensivieren dann die Literatur-, Museums- und Internetrecherche, sichten Ausstellungskataloge und wenn das ausführliche Konzept steht, folgt bei uns eine Beiratssitzung“, beschreibt die Kuratorin das weitere Prozedere. „Wir haben das Glück, dass wir dazu oft Experten aus ganz Europa einladen können.“ Meistens sind neben renommierten Forschern und Wissenschaftlern auch Kollegen aus den Museen dabei, die Objekte vorschlagen, die kaum bekannt sind oder noch nie gezeigt wurden. „Das ist uns wichtig“, sagt Christiane Ruhmann, „denn wir wollen immer auch Neues, Unerwartetes zum jeweiligen Thema ausstellen.“

„Von Nagel zu Nagel“ in geheimnisvollen Kisten

Erste Kunsttransporte sind eingetroffen.
Erste Kunsttransporte sind eingetroffen. ©Diözesanmuseum Paderborn

Sind die Exponate zugesagt, wird mit den Kunsttransporteuren verhandelt, die auch über Sondergenehmigungen verfügen. „Das ist eine sehr spezialisierte Branche und die Kurierfahrzeuge brauchen eine spezielle Ausstattung und natürlich eine fachkundige Besatzung. Allerdings ohne Versicherung kein Transport – „von Nagel zu Nagel“ muss die Police gelten. Also von der Abnahme im heimischen Museum bis zum Ende der Rückreise. Durch die Verschiebung der Rubens-Ausstellung mussten alle Leih- und alle Versicherungsverträge neu verhandelt werden. Jetzt ist es geschafft und die Transportplanung in vollem Gange: Wann kommt welches Werk? Welcher Kurier ist dabei, welche Restauratoren werden gebraucht? Und dabei muss darauf geachtet werden, dass nie zu viele Menschen gleichzeitig im Museum sind.

Gute Organisation und ein bisschen Geduld

Anlieferung der Arbeit „It is, it isn’t“ von Tony Cragg, ©VG Bild-Kunst, Bonn 2020
Anlieferung der Arbeit „It is, it isn’t“ von Tony Cragg, ©VG Bild-Kunst, Bonn 2020

Und auf was müssen sich die Besucher/innen der Rubens-Ausstellung einstellen, Frau Ruhmann? „Maske tragen, Hände desinfizieren, persönliche Daten angeben und Abstand halten – das kennen wir ja unterdessen alle. Unser Haus hat 800 m² und so dürfen 80 Menschen gleichzeitig in die Ausstellung, Aufsichten mitgezählt. Wir haben eine Zähleinrichtung und wenn die Obergrenze erreicht ist, müssen die Leute leider warten. Ich denke, das wird ganz gut klappen, denn wir werden geführte Gruppen und Einzelbesucher trennen.“ So bleiben Dienstag- und Mittwochvormittag sowie Freitagnachmittag den Gruppen vorbehalten. „Natürlich rechnen wir mit weniger Besuchern, aber wir wollten auf keinen Fall aufgeben, nicht absagen. Kultur ist gerade jetzt wichtig.“

 

„Rubens, Baby!“ und Ölmalerei

Die Veranstaltungen und museumspädagogischen Programme zur Rubens-Ausstellung sollen so weit wie möglich stattfinden. An den speziellen Themenführungen mit Kuratoren und Restauratoren dürfen dann nur 9 bis 10 statt 20 Personen teilnehmen. Für Kurse wie den Workshop zur Ölmalerei gibt es Hygieneregeln und man hofft, dass auch ‚Rubens, Baby!‘ – das neue Angebot für junge Eltern mit Kleinkindern trotz Corona angenommen wird. „Schulklassen, für die unsere Museumspädagogin Britta Schwemke wirklich ein schönes Programm zusammengestellt hat, werden sich in diesem Jahr vermutlich erst mal selbst wieder im Unterreicht organisieren müssen und nicht an einen Museumsbesuch denken“, bedauert Christiane Ruhmann, „sollte es aber von dieser Seite doch Interesse geben, sind alle herzlich willkommen!“.

Ruhe vor dem Endspurt

Aufbau der Rubens-Ausstellung.
Aufbau der Rubens-Ausstellung: Jetzt wird aus virtueller Planung reale Raumgestaltung. ©DiözesanmuseumPaderborn

Hatte die Ausnahmesituation der letzten Monate auch etwas Positives? „Manches konnten wir mit weniger Druck angehen, die Vitrinen-Planung und die Ausstellungsgestaltung waren entspannter und wir hatten mehr Zeit für die Texte und den Katalog“, sagt Petra Koch-Lütke Westhues. Doch am Ende wird es wie immer eng, denn jeder nimmt sein Bild erst im letzten Moment vom Nagel. Alle Objekte kommen innerhalb weniger Tage an, es wird also trubelig – aber mit Abstand!“

Viel Erfolg, gute Nerven und vielen Dank für das Gespräch.

 

 

 

 

Dr. Christiane Ruhmann gehört seit 1999 als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Kuratorin zum Team des Diözesanmuseums Paderborn. Sie studierte Vor- und Frühgeschichte, Geschichte und Klassische Archäologie an der Christian-Albrechts Universität Kiel und der Westfälischen Wilhelms Universität Münster, wo sie auch promovierte.

Dr. PetraKoch-Lütke Westhues kam 1996 zur Vorbereitung der im Jahr 1999 gezeigten Karolingerausstellung nach Paderborn und ist seitdem – mit Unterbrechungen – als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Kuratorin am Diözesanmuseum tätig. Sie studierte Mittlere und Neuere Geschichte, Volkskunde und Kunstgeschichte an der Westfälischen Wilhelms Universität Münster, wo sie auch promovierte.

Autorin: Waltraud Murauer-Ziebach

 

 

Fotograf Ansgar Hoffmann hat im Zuge der Vorbereitungen für die Rubens-Ausstellung einiges zu tun! Im Fotoatelier aber auch im Dom fotografiert er Kunstwerke für den Ausstellungskatalog. Worauf es dabei ankommt, erfahren Sie in diesem Video.
Kontakt: www.hoffmannfoto.de

Dieses Porträt des Malerfürsten mit dem ernsten Blick und dem imposanten Schnurrbart zeigen wir in unserer kommenden Sonderausstellung „Peter Paul Rubens und der Barock im Norden“.

Wie wäre es, einmal selbst in die Rolle des Superstars mit dem breitkrempigen Hut zu schlüpfen und das Bild nachzustellen? Ob größtmögliche Ähnlichkeit oder zeitgenössische Interpretation, wir sind neugierig auf alle Formen der kreativen Auseinandersetzung.

zum Beispiel …

Einfach das eigene „Rubens-Selfie“ bis zum 25. Mai auf unseren Sozialen Medien posten (#dioezesanmuseum_paderborn) oder uns per Mail schicken (museum@erzbistum-paderborn.de). Die Einsendungen werden in einer speziellen Rubens-Gallery auf unserer Website veröffentlicht.

Los geht’s, wir sind gespannt…

Peter Paul Rubens, Selbstbildnis, um 1625/30, Siegen, Siegerlandmuseum.
Förderverein des Siegerlandmuseums und des Oberen Schlosses e.V. Siegen

Bildergalerie mit Ihren Einsendungen – Dankeschön !

Mit dem Perspektivischen Gitter im Paderborner Dom fand der Barock Einzug in Westfalen. Museumsdirektor Christoph Stiegemann erläutert die Bedeutung des Gitters für den barocken Chorraum und macht auf einige spannende Details aufmerksam.

Zeichnen nach dem Original – dies führt uns Kunstpädagogin Claria Stiegemann anhand einer vom flämischen Barock beeinflussten Büste vor. Mithilfe von Proportionslinien entsteht nach und nach das verträumte Gesicht des Heiligen.

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