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Paderborn, 16.12.2022

Das Naumburger Marienretabel

Triegel ‚trifft‘ Cranach

17. Dez. 2022 bis 11. Juni 2023

Pressevorbesichtigung: 16. Dez. 2022, 14:00 Uhr

Das Diözesanmuseum Paderborn zeigt vom 17. Dezember 2022 bis 11. Juni 2023 das spektakuläre Marienretabel aus der UNESCO Welterbestätte Naumburger Dom. Dabei handelt es sich um einen neu zusammengefügten Altaraufsatz zweier bedeutender Maler: Die beiden Seitenflügel schuf Lucas Cranach der Ältere (1472-1553); die Bilder des Mittelteils und der Predella malte der Künstler Michael Triegel (*1968). Der Altaraufsatz wurde am 4. Juli 2022 im Westchor des Naumburger Doms auf dem dort vorhandenen, mittelalterlichen steinernen Altartisch aufgestellt. Damit hatte der Naumburger Westchor sein liturgisches Zentrum zurückgewonnen!

Deutliche Kritik an der Neuaufstellung kam insbesondere seitens des Internationalen Rats für Denkmalpflege (ICOMOS), der die Einhaltung von Vorgaben für UNESCO-Welterbestätten prüft. Aufgrund der kontroversen Diskussionen wurde das Altarretabel am 5. Dezember 2022 wieder abgebaut. Es soll nun vorübergehend in anderen Städten präsentiert werden – erste Station ist Paderborn. Die Diskussion um die Aufstellung in Naumburg wird fortgesetzt. 

Lucas Cranach

Im Jahr 1517 erhielt Lucas Cranach den Auftrag, für den Westchor des Naumburger Doms einen neuen dreiflügeligen Altaraufsatz zu schaffen. Hintergrund war die Umgestaltung des Naumburger Westchors als Grabkapelle für Johannes von Schönberg, der von 1492 bis zu seinem Tod 1517 das Amt des Bischofs von Naumburg innehatte. Im Zuge dieser Umgestaltung wurden die beiden im Westchor vorhandenen Nebenaltäre abgebaut, da sie die Neugestaltung behinderten. Cranach nahm die heiligen Patrone dieser Altäre in das Bildprogramm seines neuen Altarretabels auf und stellte sie auf den Flügeln dar: Es sind der Apostel Jakobus der Ältere, die hl. Katharina, die hl. Maria Magdalena. Neben diesen Bildzeugnissen geben auch Schriftquellen Auskunft über die Nebenaltäre und ihre Patrozinien im Westchor vom 13. bis Anfang des 16. Jahrhunderts. 

Mittelpunkt des Altaraufsatzes von Cranach war eine Darstellung der Gottesmutter Maria, die seit dem 13. Jahrhundert als Patronin des Westchors verehrt wird. Ihr war dieser einzig verbliebene Altar im Westchor geweiht. Am Marienretabel von Cranach war somit die Jahrhunderte alte liturgische Tradition des Naumburger Westchors abzulesen. 

In der Reformationszeit Anfang des 16. Jahrhundert vertraten viele reformatorisch überzeugte Theologen das biblische Bilderverbot. Es geht zurück auf das 1. Gebot des Dekalogs und bedeutet, dass Gläubige keine bildliche Darstellung von Gott anfertigen dürfen. Übertragen wird das Verbot auch auf biblische Personen wie Maria und andere gottesfürchtige Menschen, die als Heilige verehrt werden. In Folge dieser Auffassung führten Bilderstürme zur Zerstörung vieler Kunstgegenstände in den Kirchen. Auch der Kurfürst von Sachsen, Johann Friedrich I. der Großmütige, veröffentlichte einen entsprechenden Erlass. So kam es 1541 in Naumburg dazu, dass sich der evangelische Superintendent Nikolaus Medler mithilfe der Fleischerinnung gewaltsam Zugang zum Naumburger Dom verschaffte. Sie entfernten und zerstörten verschiedene Mariendarstellungen, zu denen auch der Mittelteil des Cranach-Retabels zählte. Die Altarflügel blieben hingegen erhalten.

Lucas Cranach der Ältere (um 1472-1553) gehört mit seiner Werkstatt in Wittenberg zu den erfolgreichsten und produktivsten Malerbetrieben seiner Zeit. Als Hofmaler der Kurfürsten von Sachsen (ab 1505) erhielt Cranach zahlreiche Aufträge, vor allem zur Anfertigung von Porträts seiner Dienstherren. Seine enge Freundschaft zu Martin Luther und sein Kontakt zu weiteren Reformatoren machten ihn zum bevorzugten Künstler der Reformation. Groß ist die Anzahl der von ihm und seiner Werkstatt produzierten Porträts von Luther und Melanchthon. Für seine Altargemälde schuf Cranach eine protestantische Bildersprache: im Mittelpunkt standen jetzt vor allem Heilstaten wie die Kreuzigung und Auferstehung Jesu und besonders das Letzte Abendmahl. 

Die beiden Naumburger Altarflügel von 1519 gehören zu Cranachs vorreformatorischen Bildern. Der rechte Flügel zeigt auf der Vorderseite den Apostel Jakobus den Älteren mit Pilgerhut, Wanderstab und Rosenkranz sowie die hl. Maria Magdalena mit dem Salbgefäß. Beide stehen vor Goldgrund, der bewährten Folie für Repräsentation und Festlichkeit einerseits sowie der überzeitlichen Präsenz des Göttlichen andererseits. Im Vordergrund kniet als einer der beiden Stifter des Altarretabels Johannes III. von Schönberg, der von 1492 bis zu seinem Tod 1517 Bischof von Naumburg war. Der rote Talar und das Birett in den Händen kennzeichnen ihn als Kleriker; die Insignien seiner Amtswürde sind die Bischofsmitra und der Bischofsstab, die oberhalb seines Wappens dargestellt sind. Bischof Johannes hatte testamentarisch verfügt, im Westchor des Doms bestattet zu werden und einen neuen Marienaltar aufzustellen, für dessen Finanzierung er ebenfalls sicherstellte. 

Der linke Altarflügel zeigt als stehende Heilige die Apostel Philippus mit Kreuzstab und Jakobus den Jüngeren mit Buch und Walkerstange. Der vor ihnen kniende Stifter ist Philipp von der Pfalz aus dem Hause Wittelsbach, der von 1518-1541 als vorletzter katholischer Bischof von Naumburg amtierte. Dargestellt wird er hier mit schwarzem Talar, über dem ein Pelzkragen liegt. Mitra und Bischofsstab über seinem Wappen weisen auf sein Amt hin. Bereits seit 1498 war Philipp außerdem Bischof von Freising, das auch sein überwiegender Aufenthaltsort war. Die Außenseiten der Flügel zeigen links die hl. Katharina mit Schwert und dem zerbrochenen Rad zu ihren Füßen, rechts die hl. Barbara mit einem Messkelch, den sie ehrfürchtig mit verhüllten Händen hält. 

Cranachs Meisterschaft als Maler zeigt sich beispielsweise in der differenzierten Darstellung der modischen Gewandstoffe, des komplexen Goldschmucks und der lockigen Haarsträhnen. Überzeugend wirken in ihrer unterschiedlichen Oberflächenerscheinung Samt und Brokat, Seide und Leinen. Feinste Muster und Details sind an den Mitren und dem Schmuck der Frauen wahrzunehmen. Die Gesichter aller Dargestellten wirken ernst und würdevoll. Das blasse Inkarnat lässt die heiligen Frauen zart und keusch erscheinen. 

Michael Triegel

Michael Triegel (*1968) studierte an der renommierten Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst zunächst (1990-1995) bei Arno Rink und später (1995-1997) als Meisterschüler von Ulrich Hachulla, einem der wichtigsten Vertreter der zweiten Generation der Leipziger Schule. Studienreisen führten Triegel nach England, in die Schweiz und immer wieder nach Italien. Triegels äußerst feine, lasierende Malweise nimmt besonders Bezug auf die Malerei der italienischen Renaissance. Die realistische Wiedergabe vor allem von Physiognomien, Stoffen und Alltagsgegenständen zeugt von hoher technischer Perfektion des Künstlers. Er malt überwiegend in Mischtechnik mit Öl-, Acryl- und Eitemperafarben.

Zu Triegels Bildsujets gehören Stillleben, Themen aus der antiken Mythologie, der Literatur und der christlichen Ikonographie. Oft führt der Künstler in seinen Arbeiten unterschiedliche Elemente in überraschender Weise zusammen. Er möchte Fragen aufkommen lassen und durchaus auch Irritationen auslösen.

Triegel, der sich noch 2012 als Atheist bezeichnet hat, führte mehrere Altarbilder für Kirchen aus und setzte sich für diese Aufträge mit christlichen Bildprogrammen und Texten auseinander. Die intensive Beschäftigung mit dem christlichen Glauben führte ihn selbst auf einen persönlichen Glaubensweg, auf dem seine katholische Taufe 2014 in Dresden ein besonderes Ereignis darstellt. 

Bildtafeln von Michael Triegel

Michael Triegel wurde 2018 von den Vereinigten Domstiftern zu Merseburg und Naumburg und des Kollegiatstifts Zeitz beauftragt, den mittleren Teil für das wiederherzustellende Naumburger Marienretabel anzufertigen. 

Zur Findung eines geeigneten Bildprogramms fanden Gespräche zwischen dem Künstler und Theologen aus dem Domkapitel statt. Das Ergebnis zeigt eine Entwurfsskizze Triegels für die Vorderansicht des Retabels, die ebenfalls in der Ausstellung zu sehen ist. Hauptgedanke war die Versinnbildlichung der von allen gebildeten Gemeinschaft, die sich um das Zentrum des von Maria neugeborenen Erlösers versammelt. Das vollendete Retabel weicht nur wenig vom ersten Entwurf ab.

Wichtige Vorbereitungsphasen im Schaffensprozess für die Altarbilder sind für Triegel seine Reisen nach Italien und Jerusalem. Hier begegnet er Kunstwerken und Künstlerkollegen sowie Menschen auf den Straßen, von denen er Skizzen anfertigt, um sie im später entstehenden Werk einzufügen. Ebenso fasziniert ihn die lebendige Religiosität, der er sich einerseits zugehörig fühlt und die ihn dennoch immer wieder überrascht. 

Das Altarretabel zeigt auf der Vorderseite zentral die thronende Maria, die dem Betrachter das Jesuskind entgegen hält. Modell für Maria war Triegels 16jährige Tochter. Die Frau rechts hinter ihr stellt Marias Mutter Anna dar; Modell stand Triegels Ehefrau und somit die Mutter der jungen Frau. Das Bildthema der Maria mit Kind, umgeben von heiligen Personen, wird als „Sacra conversatione“ („Heilige Unterhaltung“) bezeichnet – ein beliebtes Bildthema der italienischen Renaissance. Auf der Naumburger Bildtafel sind von den insgesamt dreizehn Maria umgebenden Personen einige durch Attribute identifizierbar: die hl. Elisabeth von Thüringen mit Rosenblüten in Händen, die hl. Agnes mit Lamm, der Apostel Petrus mit Schlüssel und der Apostel Paulus mit Buch. Links von Maria dargestellt ist der evangelische Theologe und Märtyrer Dietrich Bonhoeffer, den Triegel nach Fotoaufnahmen malte. Ganz links im Bild zu sehen ist ein Junge von der Insel Procida, bekleidet mit der Tracht für die dortige große Karfreitagsprozession. Die Frauen hinter ihm gehören zu den Sponsor*innen des Altars. Den Apostel Petrus mit Basecap (rechts) malte Triegel nach der Begegnung mit einem Bettler in Rom und für den Apostel Paulus neben ihm war ein Jude an der Jerusalemer Klagemauer sein Vorbild. Die Menschen halten ein kostbar gestaltetes Tuch hoch, das als Ehrentuch bezeichnet werden kann und die Wertschätzung der Menschen gegenüber Mutter und Kind ausdrückt. Im Bildvordergrund musizieren zwei Kinder auf Laute und Flöte. Ein weiteres Kind hält ein Schriftband, auf dem die Anfangsworte des Lobgesangs der Maria zu lesen sind „Magnificat a(n)i(m)a mea“ – „Meine Seele preist (den Herrn)“. Der biblischen Überlieferung nach (Lk 1, 46-55) spricht die schwangere Maria diese Worte zu ihrer Verwandten Elisabeth, die ebenfalls ein Kind erwartet, das als Johannes der Täufer noch vor Jesus den Menschen Gottes Wort predigen wird. Zu Marias Füßen windet sich eine Schlange, die zwar bedrohlich ihr Maul aufreißt und die spitzen Zähne zeigt, die aber von Marias Fuß fixiert und somit unschädlich gemacht wird. Angespielt wird hier auf die Schlange im Paradies, deren Verführung die Sünde in die Welt gebracht hat. Der Gottessohn Jesus, geboren von Maria, gilt als der erwartete Erlöser von dieser Sünde. Jesu Erlösungstat ist das Thema der Rückseite des Retabels. Dargestellt ist der von den Toten auferstandenen Jesus Christus. Sein Körper trägt – kaum sichtbar – die Spuren der Kreuzigung an Händen und Füßen sowie die Seitenwunde. Beinahe makellos und überzeitlich erscheint Jesus mit segnender rechter Hand. Der Maler hat den Auferstandenen in die Architektur des Naumburger Westchores gestellt. Der Betrachter erkennt den Westlettner mit dem zentralen Portal und den beidseitigen Wendeltreppen. Dahinter weitet sich der Blick ins Gewölbe des Kirchenschiffs. Unten, auf der Predella, ist das leere Grab mit Leichentuch, Dornenkrone und Kreuznägeln dargestellt. Drei rote Klatschmohnblüten symbolisieren ebenfalls Jesu blutige Passion. Die Vorderseite der Predella erinnert an das Thema „Letztes Abendmahl“, das häufig auf spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Predellen zu finden ist. Ist hier auch keine Tischgemeinschaft Jesu mit Aposteln dargestellt, so stehen als Abbreviaturen der Kelch und die Weinkaraffe sowie Brot und Brotkorb für die zentralen Zeichen dieser Tischgemeinschaft. In der stetigen Wiederholung der Feier des Abendmahls im Gottesdienst ist für Christen Jesus gegenwärtig.

Bilder und Fakten

Die Bilder sind für den Zeitraum vom 16.12.2022 bis 11.06.2023 und nur im Zusammenhang mit der Presseinformation zur Sonderausstellung Das Naumburger Marienretabel. Triegel ‚trifft‘ Cranach kostenfrei nutzbar.

Flyer, PDF, 9MB

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Naumburger Dom, Westchor mit Cranach-Triegel-Retabel, 2022
Fotonachweis © Vereinigte Domstifter, Fotograf: Falko Matte

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Naumburger Dom, Westchor mit Cranach-Triegel-Retabel, 2022
Fotonachweis © Vereinigte Domstifter, Fotograf: Falko Matte

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Naumburger Dom, Westchor mit Cranach-Triegel-Retabel (Rückseite), 2022
Fotonachweis © Vereinigte Domstifter, Fotograf: Falko Matte

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Michael Triegel, Altar zu Naumburg
Mitteltafel Vorderseite: Sacra conversatione
2020-2022, Acryl, Öl, Eitempera und Blattgold auf MDF, 242 cm x 220,7 cm
Fotonachweis: © VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Foto: Galerie Schwind, Leipzig

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Michael Triegel, Altar zu Naumburg
Predella Vorderseite
2020-2022, Acryl, Öl, Eitempera auf MDF, 51 cm x 220,7 cm
Fotonachweis: © VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Foto: Galerie Schwind, Leipzig

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Michael Triegel, Altar zu Naumburg
Mitteltafel Rückseite: Auferstehung
2020-2022, Acryl, Öl, Eitempera au MDF, 242 cm x 220,7 cm
Fotonachweis: © VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Foto: Galerie Schwind, Leipzig

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Michael Triegel, Altar zu Naumburg
Predella Rückseite
2020-2022, Acryl, Öl, Eitempera auf MDF, 51 cm x 220,7 cm
Fotonachweis: © VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Foto: Galerie Schwind, Leipzig

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Michael Triegel, Altar zu Naumburg
Mitteltafel Vorderseite: Sacra conversatione
2020-2022, Acryl, Öl, Eitempera und Blattgold auf MDF, 242 cm x 220,7 cm
Fotonachweis: © VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Foto: Galerie Schwind, Leipzig

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Michael Triegel, Altar zu Naumburg
Mitteltafel Vorderseite: Sacra conversatione
2020-2022, Acryl, Öl, Eitempera und Blattgold auf MDF, 242 cm x 220,7 cm
Fotonachweis: © VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Foto: Galerie Schwind, Leipzig

Cranach_03.jpg

Michael Triegel, Altar zu Naumburg
Mitteltafel Vorderseite: Sacra conversatione
2020-2022, Acryl, Öl, Eitempera und Blattgold auf MDF, 242 cm x 220,7 cm
Fotonachweis: © VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Foto: Galerie Schwind, Leipzig

Cranach_04.jpg

Michael Triegel, Altar zu Naumburg
Mitteltafel Vorderseite: Sacra conversatione
2020-2022, Acryl, Öl, Eitempera und Blattgold auf MDF, 242 cm x 220,7 cm
Fotonachweis: © VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Foto: Galerie Schwind, Leipzig

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