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Das literarische Verfahren der Skizze versucht, sich einer Momentaufnahme in ihrer Unmittelbarkeit anzunähern. Eine gewisse Flüchtigkeit, Unfertigkeit, aber auch Prägnanz und Geschlossenheit machen den Charakter einer (literarischen) Skizze aus, welche durchaus von Widersprüchen lebt. Die folgende Skizze versucht, sich einer zeichnerischen Skizze, einem Verfahren der bildenden Kunst, anzunähern und vielleicht eins mit ihr zu werden. Das Geschilderte bezieht sich auf die kostenlose Veranstaltung „Chill Out-Drawing“ des Diözesanmuseums Paderborn, die jeden ersten Mittwoch im Monat stattfindet. 

„Von der Abendsonne gewärmt betrete ich mit einem Druck gegen das kühle Metall der Drehtür das Eingangsfoyer des Museums. Leise Gespräche und Lachen dringen an mein Ohr. Meine Tasche mit meinem Skizzenblock halte ich nun eindringlicher fest und werde flüchtig, aber herzlich begrüßt. Die Anwesenden begeben sich nach und nach in den Seminarraum für den Impulsvortrag. Heute wird es um Holzkohle gehen.

Für jeden Teilnehmenden gibt es einen Platz mit weißem Blatt und einem schmalen stiftähnlichen Stück Holzkohle. Es ist erstaunlich leicht. Ein ungewohntes Gewicht in einer an Federhalter und Kugelschreiber gewöhnten Hand. Beschwingt blicke ich mich um. Es ist mein erster Zeichenabend. Beschwichtigend rede ich auf die innere Stimme ein, die sich bereits mit jedem Teilnehmenden im Raum verglichen hat. Heute (und auch sonst) geht es nicht um perfekte Leistung. Heute ist es die Ruhe, die zählt. Ausprobieren. Etwas Neues. Ich versuche unvoreingenommen zu sein.

Wir werden freundlich begrüßt. Nicht länger als fünf Minuten geht die kleine Einführung. Entscheidend ist das Halten der Kohle sowie der Druck mit dieser auf das Papier. Kleine und große Beispielstriche sammeln sich auf den Unterlagen. Man hört das Kratzen der Kohle vermischt mit einzelnen Gesprächsfetzen. Das Ausprobieren steht im Vordergrund. Langsam komme ich in der Situation an und lenke den Fokus auf die Kohle, meine Hand und den Untergrund. Unsere Impulsgeberin verkündet, dass sie sich nun in das Museum begibt. Wir sind eingeladen nachzukommen, wenn wir bereit sind. Kein Druck. Kein Beobachten. Eine freundliche Einladung.

Ich gehe ihr nach einigen Minuten nach und betrete einen in leises Rauschen und warmes Licht getauchten Raum. Links und rechts führen Treppen in weitere Ebenen des Ober- und Untergeschosses. Die Ebenen sind offen und lichtdurchflutet. Hier ist genug Raum, um Dinge auf sich wirken zu lassen.

Und das führt uns nun zu diesem Moment. Genau hier, auf den Stufen. Ich habe mich auf einem Lederkissen niedergelassen. Vor einigen Augenblicken stand ich noch. Ich blicke auf die Falten des Gewandes der Frauenskulptur, das Schild verkündet mir es handelt sich um die Skulptur „Heilige Elisabeth mit Bettler“ 1540/ 1550. Ich erkenne, wie das Licht auf den erhabenen Stellen, da wo sich Knie und Beine der Frau abzeichnen, Platz nimmt. In den Stellen unmittelbar außerhalb des Lichtkegels sammelt sich Schatten und Dunkelheit. Dieses Muster und die Form des Gewandes sind einzigartig. Ein kleiner Ausschnitt, jedoch gilt es ihn nun auf Papier einzufangen.

Immer wieder wechselt mein Blick vom Blatt zur Skulptur. Die Striche mit der Kohle sind unsicher…meine Stirn legt sich in Falten. Ich bleibe hartnäckig und versuche mich, Strich um Strich, dem Wesentlichen zu nähern, versuche nicht, das Ergebnis, sondern den Prozess zu fokussieren. Die leisen Geräusche der Kohle, auch hohe Töne, und entfernte leise Stimmen, werden vertraut. Jeder hat sich auf einem Platz eingefunden oder geht vorsichtig umher.  Ein leises Rauschen ist zu hören. Genaues Hinsehen…später können Sie noch radieren, das ist gut, bleiben Sie dran. Die Hinweise der Frau, die diesen Abend – und gewissermaßen uns – leitet und betreut, bestätigen, ja motivieren mich. Ich mache weiter…werde sicherer, lasse Gedankensprünge hinter mir. Ich gehe ganz in dem Meer aus Strichen, Wischen, Schauen und Blicken auf. Ich bin mir nicht mehr sicher, wie schnell oder langsam die Zeit an mir vorübergeht. Das kann niemand der in einem Moment vollständig aufgeht. Die Luft riecht nach Stille…trocken, die vielen Gerüche der Materialien mischen sich. Erst gerade jetzt fallen sie mir auf. Strich um Strich vervollständigt sich meine Zeichnung. An einigen Stellen ist der letzte Strich erfolgt, andere warten noch auf Vervollständigung. Jedoch bin ich nun die, die vervollständigt ist. Sie wissen, welches Gefühl ich meine.

Und ich nehme Abschied von diesem Moment. Langsam kommen Bewegung, mehr Stimmen, Geräusche von Schritten in mein Wahrnehmungsfeld. Teilnehmende gehen an mir vorüber. Noch kann und will ich mich nicht regen. Ich schaue auf das Skizzenhafte, das Unfertige in einem Teil meines Bildes und bin zufrieden. An einigen Stellen könnten noch Striche, ein Wischen, das Radieren erfolgen. Jedoch ist dies nicht die Absicht. Nicht das Ziel. Es ist mir gelungen etwas abzubilden. Eine Skizze lässt immer schon das Vollständige erahnen, gleich dem Entwurf, zeigt sie das Konzept, das Wesentliche. So ist auch sie in ihrer Andeutung vollständig. Die Holzkohle ist leicht geschwunden. Stimmen und Schritte holen mich nun ein. Langsam verlassen mich die Eindrücke: schwarze Kohlepartikel auf rauem Papier, meine von Kohle geschwärzten Finger, die ins Gesicht gefallenen Haare. Ich bewege mich, stehe auf, anderthalb Stunden liegen hinter mir. Um die Zeichnungen zu fixieren wird Haarspray verwendet, das Ergebnis so konserviert. Ein Teil eines jeden Moments ist so festgehalten. Ein schöner Gedanke, hat doch so jeder Teilnehmende einen flüchtigen Moment für sich bewahrt.

Der Moment löst sich auf. Die letzten Worte sickern in das Papier. Die Hand führt nun einen Federhalter, keine Holzkohle. Was bleibt nun? Wenn alle sich zum Gehen wenden, lockere Gespräche, herzliche Worte fallen?

Was bleibt ist die Gewissheit.

Ja. Ich komme wieder.“

Ein Abend; nicht fern.

Ein Text von Giulia Bahlow

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