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Blattmaske, Nikolaikirche, Obermarsberg

Was für ein Wesen! Menschliches Antlitz und Laubwerk scheinen miteinander verwoben. Oder blickt uns hier doch eine tierische Gestalt an? Blattmasken wie diese sind typisch für die gotische Architektur, vor allem in der französischen Bauornamentik treten sie vermehrt auf. Ein solcher „Pflanzenkopf“ ist auch auf einem Schlussstein des Paderborner Domes zu finden und besonders schöne Exemplare zeigt zurzeit unsere Gotik-Ausstellung.

Einzigartig in der deutschen Sakralarchitektur

Dieses „Fabelwesen“ hier stammt aus dem kleinen Städtchen Marsberg im Hochsauerland, genau gesagt, aus dessen Ortsteil Obermarsberg, der eine „Perle der Frühgotik“ sein eigen nennt – die katholische Kirche St. Nikolaus. In der deutschen Sakralarchitektur des 13. Jahrhunderts ist sie einzigartig. Die kleine Hallenkirche zeichnet sich insbesondere durch einen ungewöhnlichen Grundriss und das Zusammenspiel von regionalem Bauschmuck mit international geprägten gotischen Architekturformen aus. Beeindruckend sind auch die Maßwerkfenster.

Kooperation schärft den Blick für großartige Details

Nicolaikirche Obermarsberg, Foto: Ansgar Hoffmann, Schlangen

In diesem Jahr wurde die Paderborner Gotik-Ausstellung zum Anlass für ein Kooperationsprojekt zwischen der Gemeinde zu der St. Nikolaus gehört und dem Diözesanmuseum. Dabei stehen die baulichen Besonderheiten der Kirche im Fokus: Eine kleine Präsentation mit Texttafeln macht die Besucher jetzt auf reizvolle Details und die Geschichte des Gotteshauses aufmerksam. „Diese Kirche ist ohne Parallele“, sagt Ulrike Frey vom Team des Diözesanmuseums, die das Projekt konzipiert und betreut hat. „Sie ist ein hervorragendes Beispiel für die Frühgotik in Westfalen, so wie sie auch in unserer aktuellen Ausstellung thematisiert wird.“

Eine Kirche für den Schutzparton

Marsberg war wohlhabend, der Reichtum des Ortes wurde geprägt durch Glas und Kupfer. Es waren Kauf- und Handelsleute aus dem Ort Horhusen, dem heutigen Niedermarsberg, die ab dem Jahr 1227 aufgrund des aufkommenden Raubrittertums und wegen häufiger Überschwemmungen von Diemel und Glinde sowie aus unterschiedlichen politischen Gründen auf den sicheren Eresberg zogen. Dort bauten sie die „capella beati Nicolai monte“, also eine Kapelle des hl. Nikolaus auf dem Berg. St. Nikolaus gilt als Schutzpatron der Kaufleute. Zu den Bauphasen der Kirche gibt es nur wenige Überlieferungen, jedoch erscheint der Baubeginn im Jahr 1229 als sicher.

Zungenblattkapitell (Nordfenster im Chor); Erzbistum – Fachstelle Kunst
Hopfendolden an einem Kapitell an der Nordostecke des nördlichen; Erzbistum – Fachstelle Kunst

Faszinierender Bauschmuck

Der plastische Bauschmuck der Nikolaikirche ist von hoher Qualität und großer Vielfalt. Die Bandbreite reicht von spätromanisch / frühgotischer Ornamentik bis hin zu einer hochgotischen Formensprache.

Ganz besonders faszinierend sind die Blattmasken die weder der menschlichen noch der pflanzlichen Welt eindeutig zuzuordnen sind. In St. Nikolaus sind sie als Gewölbeschlussstein im südlichen Seitenschiff zu sehen und – leider nur fragmentarisch erhalten – im Gewölbe des Westpolygons.

Dem freundlich blickenden, lächelnden „Pflanzenmenschen“ im östlichen Teil der Kirche steht im Westen eine Blattmaske mit weit aufgerissenen Augen und bleckenden Zähnen entgegen, also mit einem furchterregenden Gesichtsausdruck.


Kapitelle, Trägerfiguren und „Fabelhafte Wesen“

Als Symbol des gebannten Bösen ist eine Fledermaus (Abb.1) an der Südwand dargestellt. Oftmals wird dieses Tier, so wie auch geflügelte Drachenwesen, im westlichen Teil gotischer Kirchen verwendet. Dort wo die Sonne untergeht und die Finsternis beginnt.

Auf der gegenüberliegenden Nordseite, entdeckt man eine breit grinsende Figur (Abb.2). Sie versucht zwei Vogelwesen zu bändigen, die sich um ihre Arme schlingen.

Großartig und besonders fein modelliert besticht eine Trägerfigur (Abb.3), die mitunter als Baumeister bezeichnet wird. Mit beiden Armen greift der mit einer haubenartigen Kappe ausgestattete Mann rücklings ins Mauerwerk. Mit seinem Rücken versucht er die Last, die auf seine Schultern drückt, aufzuhalten. Ein Knie hat er aufgestützt, den Blick nach oben gerichtet, vielleicht den Schub des Gewölbes abschätzend.

Wer jetzt neugierig geworden ist, kann die Ausstellungstafeln in der Nikolaikirche noch bis zum 13.1. 2019 sehen, bitte vorher telefonisch anmelden. Ansprechpartner für Führungen sind das Pfarrbüro: 02992-2430 und das Heimatmuseum 02992-8494.

Autorin: W. Murauer-Ziebach (Text basiert auf Informationen der Ausstellungstafeln)

Die Ausstellung „GOTIK – Der Paderborner Dom und die Baukultur des 13. Jahrhunderts in Europa“
lädt  dazu ein, diese großartige Stilepoche zu erkunden.

Monumentale Architektur ohne Schwere, Wände aufgelöst in lichtdurchflutete Maßwerkfenster, himmelwärts strebende Gewölbe und monumentale Figuren an den Portalen, die in zart andeutendem Lächeln oder schmerzerfüllter Klage tiefe menschliche Regungen zeigen; aber auch Architektur im Kleinen, fein detaillierte Planzeichnungen, Buchmalereien und kostbarste Goldschmiedekunst – all dies ist kennzeichnend für die faszinierende Epoche der Gotik. Seit dem 12. Jahrhundert revolutionierten ihre Ideen und Innovationen die Architektur und Kunst in Europa.

 

    

Insgesamt sechs Ausstellungseinheiten entwerfen ein faszinierendes Panorama jener Zeit des Wandels. Sie nehmen Ideen und Dynamiken in den Blick, die den internationalen Erfolg der Gotik begründeten: vom Bauprozess über bahnbrechende technische Neuerungen bis zu Fragen des Kulturtransfers und des Menschenbildes.

 

 

 

 

 

 

 

 

Zu den hochkarätige Exponate, die für die Ausstellung in Paderborn zusammengeführt wurden, gehören unter anderem die sogenannten Reimser Palimpseste – die ältesten erhaltenen Architekturzeichnungen – sowie großartige Bildhauerwerke, etwa vom bedeutenden Naumburger Meister, Preziosen der Goldschmiedekunst, Elfenbeinschnitzerei und Buchmalerei, darunter einzigartige Stücke aus dem Pariser Louvre, dem Musée Cluny in Paris, oder der Domschatzkammer Aachen. Zu den besonders prominenten Stücken zählen das kostbare Heiliggrabreliquiar aus dem Schatz der Kathedrale von Pamplona, das bislang noch nie in Deutschland gezeigt wurde, und die Originalfragmente des Schreins der heiligen Gertrud von Nivelles.

Hinzu kommen digitale Animationen und 3D-Modelle, die ungewöhnliche Einblicke in die Konstruktionstechniken gotischer Gebäude erlauben.

Ideen der Gotik prägen unsere Städte bis heute

Ausstellung und Katalog spüren den Voraussetzungen und Entstehungszusammenhängen dieser imposanten Architektur nach, die unsere Städte bis heute nachhaltig prägen. Dabei haben sie nicht nur die grandiosen Hochleistungen im Blick, die sich in den gotischen Zentren zeigen, auch eigene regionale Traditionen werden sichtbar, etwa beim Bau des Paderborner Doms. Hier orientierte man sich im 13. Jahrhundert an der mächtigen Doppelchoranlage, die bereits zwischen 1058 und 1068 unter Bischof Imad errichtet wurde und deren 950jähriges Weihejubiläum in diesem Jahr begangen wird.

Einflussreiche Lipper

Schon zur Zeit Imads etablierten sich die Domkapitel als eigene Institutionen. Stifter und Konzepteure traten im Bauprozess hervor. Wichtige Impulsgeber waren auch die Bischöfe selbst. Hier spielten die Edelherren zur Lippe eine entscheidende Rolle. Sie stellten mehrere Paderborner Bischöfe, gründeten Städte und bekleideten wichtige öffentliche Ämter. Sie waren Impulsgeber bei der Verbreitung der bahnbrechenden, neuen Bau- und Gestaltungstechniken in der Region. Begründer der Landesherrschaft Lippe und Gründer der Planstädte Lippstadt und Lemgo war Bernhard II. (um 1140 – 1224). Er, seine Kinder und Enkel werden in der Ausstellung vorgestellt, denn in kirchlichen wie weltlichen Ämtern übten sie einen prägenden Einfluss auf die westfälische und norddeutsche Architektur aus. Am Beispiel des Paderborner Domes zeigt sich das hochrangige kulturelle Umfeld und Beziehungsgeflecht, aus dem Auftraggeber und Bauhütte ihre Konzepte entwickelten, weiter vermittelten und aus dem selbstbewusste neue Formschöpfungen entstanden.

Bauhütten: Handwerkskunst und Hierarchie

Ein eigener Ausstellungsabschnitt widmet sich dem Betrieb und den Abläufen auf der Baustelle. Zu den wegweisenden Neuerungen jener Zeit gehört die maßstabsgetreue Bauzeichnung. Und an den zumeist riesigen Projekten waren unzählige Handwerker beteiligt: Maurer, Steinmetze, Zimmerleute, Schmiede, Dachdecker, Seiler, Glaser, Mörtelmacher, Windeknechte, Erdarbeiter und die Steinbrecher im Steinbruch. Allein im Paderborner Dom sind über 100 verschiedene Steinmetzzeichen zu finden! Hinter jedem Bauprojekt stand zudem eine ungeheure Logistik. Die Bauhütten waren zunehmend arbeitsteilig organisiert, Bauteile produzierte man auf Vorrat, um die Arbeitsabläufe zu rationalisieren. Neuartiges technisches Gerät kam zum Einsatz – dazu gehörten Kräne und Schubkarren. Die Ausstellung veranschaulicht das mit originalem Handwerkszeug und zeitgenössischen Darstellungen in kostbaren Handschriften.

Man wollte „modern“ sein …

An der Architektur des Domes ist bis heute ablesbar, dass im Verlauf der Bauzeit mehrmals umgeplant wurde: von einer spätromanischen Basilika zu einer gotischen Hallenkirche mit großartigen Maßwerkfenstern. Man wollte also bewusst „modern“ sein. Welche Einflüsse, vor allem aus Westfrankreich und der Île de France, aus Poitiers, Le Mans, Reims und Paris, aber auch aus dem Rheinland, etwa aus Mainz, und aus Westfalen selbst, aus Münster, Minden oder Herford, hier eine Rolle spielten, zeigen Architekturfragmente und Bauskulptur aus diesen Regionen.

Blick in die Ausstellung: Teufelsfratze, Mainzer Dom, Bischöfliches Dom- und Diözesanmuseum Mainz, Kopf eines Jünglings od. Engels, Rheinisches Landesmuseum Trier, Foto: Noltenhans
Große Gefühle – in Stein gemeißelt, in Holz geschnitzt

An den neu erbauten Kathedralen gewinnt der Figurenschmuck immer größere Bedeutung: Die Skulptur erlangt monumentales Format, sie wird zum Gegenüber des Betrachters, spiegelt Gefühle wie Trauer oder Freude und spielt eine bedeutende Rolle für die Verkündigung des Evangeliums als Grundlage des Glaubens. Das zeigt sich besonders beeindruckend an den großen Kathedralen in Frankreich, gilt aber – gleichwohl in bescheideneren Dimensionen – auch für den Skulpturenschmuck am Paradiesportal und an der Südfassade des Ostquerhauses des Paderborner Domes. Die Ausstellung widmet dem Thema der Portalskulpturen und den neuen Formen der Wirklichkeitserfassung in der gotischen Skulptur breiten Raum.

Charakteristisch für das Paderborner Portal sind zwei monumentale Heiligenfiguren aus Holz, die im Rahmen der Vorbereitung der Ausstellung umfassend untersucht wurden. Sie sind erstmals im Original im Diözesanmuseum zu sehen. Neben den regionalen Beispielen für die Skulptur der Gotik kann die Ausstellung auch mit Spitzenwerken der Epoche aufwarten: Zu den bewegendsten Beispielen für die Darstellung großer Gefühle gehören zweifellos die Werke des Naumburger Meisters, wie der berühmte „Kopf mit der Binde“ und der grinsende Teufel aus dem Dom- und Diözesanmuseum Mainz, aber auch die Büste eines Engels aus dem Musée du Louvre, Paris.

Irdisches Abbild des Himmlischen Jerusalem

In der mittelalterlichen Architektur galt die Kirche als das irdische Abbild des Himmlischen Jerusalem. Der Innenraum der Kathedrale war seit der Gotik besonders gegliedert: Mächtige Schranken – die sogenannten Lettner – trennten den Bereich der Laien von dem der Priester/Kleriker. Die Ausstellung zeigt kostbares kirchliches Gerät – u.a. Kelche, Leuchter, Reliquiare und Weihrauchfässer – sowie eindrückliche Zeugnisse früher Mehrstimmigkeit, wie sie in den französischen Kathedralen in der Epoche der Gotik erstmals zu hören war, und gewährt so einen Einblick in die Spiritualität der Zeit.

Mikroarchitektur: Faszination im Kleinen

In der Ausstellungseinheit „Gotik en miniature – Mikroarchitektur in der Kunst der Gotik“ sind außergewöhnliche Preziosen der Goldschmiedekunst, Elfenbeinschnitzerei und Buchmalerei zu sehen. Sie führen die „Architekturbesessenheit“ jener Zeit eindrücklich vor Augen. Durch die detailgetreuen Bauzeichnungen konnten die Dekorationsformen der Monumentalbaukunst maßstabsgerecht in andere Kunstgattungen übertragen und als Zierornament oder Gestaltungsprinzip genutzt werden. Zu den herausragenden Exponaten dieser Abteilung gehören das Heiliggrabreliquiar aus Pamplona,  das erstmals in Deutschland zu sehen ist, Originalfragmente des Schreins der Heiligen Gerturd von Nivelles, das herausragende Dreiturmreliqiar aus der Schatzkammer des Aachener Doms sowie ein Buchdeckel aus Sankt Paul im Lavanttal mit Maria und Heiligen unter einer Baldachinarchitektur.

Mittelalterlichen Geheimnissen auf der Spur

Ein ganz besonderes Forschungsprojekt beschäftigt sich mit bislang verborgenen Geheimnissen des Skulpturenschmucks am Paradiesportal und am Südgiebel des Ostquerhauses des Paderborner Doms. Hierbei arbeiten Wissenschaftler der Universität Bamberg Hand in Hand mit Restauratoren vor Ort um Fragen wie diese zu klären: Von wann stammen die Skulpturen? Gehörten sie alle zum ursprünglichen Figurenschmuck? Was ist vielleicht nachträglich hinzugekommen? Lassen sich Spuren der Handwerker und Bauleute erkennen? Die Ergebnisse dieser Forschungen werden in Ausstellung und Ausstellungskatalog erstmals öffentlich vorgestellt.

GOTIK – Der Paderborner Dom und die Baukultur des 13. Jahrhunderts in Europa
vom 21. September 2018 bis 13. Januar 2019

Alle Fotos: Kalle Noltenhans, Text: W. Murauer-Ziebach

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