- Helmarshausen, um 1120–1127
- Eichenholzkern, Verde antico (Altarstein), Silberblech, Gold- und Silberfiligran, Steinschmuck, Perlen, Kupferblech, Bronze, Silberauflage (Füße), Wände des Holzkerns erneuert, Schloss und Scharniere ergänzt, Edelsteinleisten an Oberseite und Eckstützen spätmittelalterlich erneuert, Inschriften ergänzt, Bodenplatte abgerieben
- Paderborn, Hoher Dom St. Marien, St. Liborius und St. Kilian, Inv.-Nr. DS 2
Der Tragaltar ist eng mit der Geschichte des Paderborner Bistums und seines Doms verbunden: Eine Schmalseite zeigt Christus als Weltenrichter und Schöpfer auf dem Regenbogen in einer kreisförmigen Glorie; flankiert wird er von den Heiligen Liborius und Kilian, die Patrone des Doms sind. Reliquien dieser beiden waren im 8. bzw. 9. Jahrhundert – in der Zeit der Christianisierung der westfälischen Gebiete – aus Würzburg bzw. Le Mans nach Paderborn überführt worden. Auf der zweiten Schmalseite sehen wir Maria – seit der Erbauung des Doms durch Karl den Großen dessen Patronin –, die Hände im Gebetsgestus erhoben zwischen den Jüngern Johannes und Jakobus. Die Längsseiten zeigen unter Arkaden jeweils fünf thronende Apostel, in ihrer Mitte Petrus bzw. Paulus.
Die an der Randkante der Bodenplatte umlaufende Inschrift führt uns direkt in die bewegte und ereignisreiche Entstehungszeit des Tragaltares – in das frühe 12. Jahrhundert: In frommer Gesinnung bringt Dir, heilige Maria, Bischof Heinrich diese schmucke Gabe dar, damit er nicht vom ewigen Leben ausgeschlossen werde. Liborius und Kilian mögen ihm die Hände reichen. Er freut sich, das Ehrenamt ihnen gleich zu bekleiden und seinem Gelübde zu dienen. Gestiftet hat dieses kostbare Stück demnach Bischof Heinrich II. von Werl (amt. 1084–1127). Gegen Ende seines Lebens hatte er den Tragaltar dem Dom und dessen Patronen, also der Gottesmutter Maria sowie den Heiligen Kilian und Liborius, übergeben. Heinrich war nicht unumstritten auf dem Paderborner Bischofsthron, sondern in seinem Amt in einen Machtkampf geraten, der die gesamte mittelalterliche Welt erfasst hatte, den so genannten Investiturstreit.
Heinrichs Anspruch auf Rechtmäßigkeit unterstreichen auch die bildlichen Darstellungen auf der Deckplatte des Altares: Gerahmt von den vier Evangelistensymbolen, sind zwei durch Inschriften erklärte Szenen dargestellt. Der stirnseitige Beschlag zeigt den Stifter Heinrich II. beim Verbrennen von Weihrauch (Inzens) während der Bereitung der Gaben für die Eucharistie, dazu die Inschrift: Es steige mein Gebet wie Weihrauch empor vor dein Angesicht, Herr, Gott (Ps 141,2). Ungewöhnlich ist, dass Heinrich hier am Altar den Bischofsstab trägt – dieses Zeichen bischöflicher Befehlsgewalt wird gewöhnlich für die Dauer der Zelebration dem Diakon übergeben. Hier ist der Stab zu sehen, um zu signalisieren „Hier steht ein rechtmäßiger Bischof am Altar!“
Der Deckplattenbeschlag zur Marienseite hin zeigt Meinwerk, einen der berühmtesten Vorgänger Heinrichs II. im Paderborner Bischofsamt, Erbauer zahlreicher Kirchen und mächtiger Berater spätottonisch-frühsalischer Kaiser. Er ist mit erhobenem Kelch beim Gebet zur Kommunion abgebildet, wiederum wird die Darstellung durch eine Inschrift begleitet: Den Kelch des Heils will ich nehmen und anrufen den Namen des Herren (Ps 116,13).
Damit stellt sich Heinrich von Werl nicht nur in die Tradition der heiligen Bischöfe Liborius und Kilian, sondern auch in eine direkte Linie mit dem bedeutenden Paderborner Bischof Meinwerk und unterstreicht damit noch einmal deutlich seinen Anspruch auf den ostwestfälischen Bischofssitz vor der Welt, aber auch vor der Ewigkeit.
Im Laufe der Jahrhunderte erhielt der Tragaltar weitere Funktionen: Die Verwendung des Tragaltares als Reliquiar belegen Schloss und Scharniere, welche das Stück spätestens im 17. Jahrhundert erhielt. Der Paderborner Fürstbischof Dietrich Adolf von der Recke (amt. 1650–1661) ließ das Innere dann in der Barockzeit in eine Reliquienschau umwandeln. Auf ihn und auf die im Tragaltar bewahrten Reliquien weisen entsprechende Inschriften an der Deckelinnenseite hin.
Ein Inventar aus der Mitte des 19. Jahrhunderts schließlich führt den Tragaltar unter der Bezeichnung „Markuskasten“, der bei Bittprozessionen am Markustag (25. April) mitgeführt werde. Diese als Umritt ausgeführte Prozession hat Spuren an dem Stück hinterlassen: Die Unterseite ziert eine Darstellung des hl. Liborius als Standfigur in einer Arkade, die von drei Turmaufbauten bekrönt ist. Wie Untersuchungen des Tragaltars im Kernspintomographen zeigen, ist in ihrem Zentrum der komplette Verlust der Vergoldung sowie eine deutliche Einwölbung zu verzeichnen. Hier war der Altar, der während der Prozession vom berittenen Priester für alle sichtbar vor dem Körper gehalten wurde, wohl wiederholt mit dem Sattelknauf in Berührung gekommen.
Fotos: Ansgar Hoffmann