Von Säuseln bis Tornado: Wind kann genauso zerstören wie Leben ermöglichen. Kein Wunder also, dass er auch in der Religion eine Rolle spielt. Das zeigt die Ausstellung „Before the Wind“ im Diözesanmuseum Paderborn.
Sagt Ihnen der Name Emmelinde etwas? Falls Sie aus Paderborn oder Lippstadt kommen, sind die Chancen hoch, dass Sie diese Frage mit Ja beantworten. Und vermutlich ähnliche Bilder im Kopf haben: entwurzelte Bäume, abgedeckte Dächer, vom Wind umgeworfene Fahrzeuge. Emmelinde hieß das Sturmtief, das im Mai 2022 einen Tornado über Teile Ostwestfalens ziehen ließ. Hautnah haben die Menschen hier die zerstörerische Kraft des Windes erlebt, die man sonst nur aus Fernsehbildern aus den USA oder aus Asien kennt.
Wind: zerstörerisch, lebenspendend – künstlerisch anregend
Doch Wind ist mehr als Zerstörung. „Wind ist eine gestalterische Kraft“, sagt Claudia Brieske. Die Berliner Videokünstlerin hat sich gemeinsam mit Franziska Baumann , einer Klangkünstlerin aus Bern, mit dem Thema Wind beschäftigt. Der Tornado von 2022 war dabei Inspiration. In enger Zusammenarbeit mit dem Diözesanmuseum Paderborn ist dabei die Ausstellung „Before the Wind“ entstanden. Sie beleuchtet die verschiedenen Facetten, die Wind haben kann. Und erzählt auch viel darüber, was Wind mit Glauben zu tun hat.


Die Ausstellung heißt „Before the Wind“. Was also war da, vor dem Wind? Die Antwort der beiden Künstlerinnen: nichts. Denn für sie beginnt mit dem Aufkommen von Wind überhaupt erst die Zeit – und damit die Welt. Das zeigen sie mit ihrer ersten Windfigur, einer weiblichen Gestalt, die in lange Bahnen aus fließendem, roten und weiß-durchscheinenden Stoff gehüllt ist. Im Video greift der Wind in den Stoff, bläht ihn auf, lässt ihn flattern. Dadurch wird das nicht-greifbare Element – im Verständnis der Künstlerinnen – erstmals sichtbar, erlebbar.
Die Welt entsteht durch den Wind Gottes
Dass mit dem Wind Zeit und Welt beginnen, das findet sich auch in der biblischen Überlieferung. Denn die Schöpfung hat auch viel mit Wind zu tun. In Genesis 1,2 heißt es: „Die Erde war wüst und wirr und Finsternis lag über der Urflut und Gottes Geist schwebte über dem Wasser.“ Das Wort, das man heute zumeist mit „Geist“ übersetzt, lautet im Hebräischen „ruach“. „Ruach“ bedeutet durchaus „Geist“, hat aber auch ältere Bedeutungen, nämlich „Wind“, „Hauch“, und „Atem“. Die Welt wird also durch den Wind oder den Atem Gottes. Der Mensch wird erst durch das Einhauchen des göttlichen Atems zum lebendigen Wesen (Gen 2,7).
Wind ist lebenspendend. Das gilt auch in der Natur. Dazu sieht man in der Ausstellung Live-Bilder des Jetstreams. Das ist ein riesiges Luftband, das mit hoher Geschwindigkeit und in großer Höhe über unseren Planeten weht. Der Jetstream treibt die Hoch- und Tiefdruckgebiete an und ist damit mitverantwortlich für wechselnde Wetter – was notwendig ist, damit Pflanzen wachsen und gedeihen können.
Wind verbindet Himmel und Erde
Im Glauben der Menschen steht Wind auch für die Verbindung zwischen Himmel und Erde – zwischen göttlicher und irdischer Sphäre. Da ist die Wolkensäule aus dem Buch Exodus: „Der HERR zog vor ihnen her, bei Tag in einer Wolkensäule, um ihnen den Weg zu zeigen (…)“ (Ex 13,21). In der Kunst werden den Engeln Flügel verliehen, sie werden zu Luftwesen, sodass sie die Verbindung zwischen oben und unten schaffen und aufrechterhalten können. Da ist Das Brausen zu Pfingsten – in der Ausstellung durch ein Gemälde repräsentiert, in dem der Geist/Wind Gottes in Gestalt einer Taube im Sturzflug durchs offene Fenster in den Saal rauscht, in dem Maria und die Jünger sitzen. Über Jahrhunderte haben Menschen starke Wind-Bilder gefunden, um die Botschaft ihres Glaubens zu verdeutlichen: Gott hat sich nach der Schöpfung nicht teilnahmslos von seinem Werk abgewandt, er wirkt darin weiter.


„Nimm mein Gebet als Weihrauch an, der hinaufsteigt und zu dir gelangt“ (Ps 141,2) Die Verbindung kann nicht nur von oben nach unten, sondern auch umgekehrt verlaufen. Heiße Luft steigt nach oben und Partikel in der Luft können diese Bewegung sichtbar machen. Nichts anderes ist der im Psalm erwähnte Weihrauch – schon lange vor Christentum und Judentum wurde er in religiösen Kontexten verbrannt. In der Ausstellung stehen mittelalterliche Weihrauchfässer einer Videoinstallation gegenüber, die Claudia Brieske aus Aufnahmen aus dem Windkanal der Ruhr Universität Bochum geschaffen hat. Hier wird unter strömungsmechanischen Gesichtspunkten das Verhalten von Rauch untersucht. Man sieht im Video aber auch vom Wind erfasste Haare und Stofffetzen sowie die riesigen Propeller, die künstlich Wind erzeugen, um das Phänomen untersuchen zu können.
Windhauch
Wenn mit dem Wehen des Windes Zeit und Welt begannen – was ist dann bei Windstille? Diese Frage kann man sich bei der Betrachtung der letzten beiden Exponate stellen. Da steht die Videoinstallation einer weiteren Windfigur über Eck im Dialog mit der Imad-Madonna. Die Windfigur im Video trägt ein langes Gewand aus Netzen und Schläuchen, dessen Schleppe sich hinter ihr in Form von Rillen in den Sand einer Wüstenlandschaft eingräbt – den Sand für diese Wüste, das sei an dieser Stelle bemerkt, hat der Wind über 700 Kilometer von der Sahara auf die Kapverdischen Inseln getragen hat, wo Brieske und Baumann gedreht haben. Als Attribut trägt sie einen Plattenspieler, bewusst ähneln die Rillen im Sand denen auf der Platte. Die Windfigur will Spuren hinterlassen.

Doch vergeblich, solange der Wind weht. Schon rieseln Sandkörner, vom Wind angestoßen, in die Fußstapfen und Rillen am Boden. Und dann greift auch noch eine Windböe unter die Schallplatte, reißt sie mit sich fort. Den Moment festhalten, etwas Bleibendes schaffen, erinnern – das sind urmenschliche Bestrebungen. Doch letztlich muss der Mensch ihre Vergeblichkeit akzeptieren. Das Wehen des Windes erinnert auch an die Vergänglichkeit. Wie es im Buch Kohelet heißt: „Windhauch, Windhauch, alles ist Windhauch“ (Koh 1,2).
Windstille heißt Ewigkeit
Demgegenüber liegt das Gewand der Gottesmutter zwar in Falten, doch kein Windhauch greift in den Stoff. Im Kontext der Ausstellung bedeutet Windstille, dass man sich außerhalb der Zeit befindet. Die Imad-Madonna ist ja auch kein Abbild einer historischen Maria mit ihrem Kind, sondern ein überzeitliches Symbol. Anders als der Plattenspieler der Windfigur, präsentiert sie hier nichts Vergängliches, sondern Ewigkeit: Jesus als die fleischgewordene Weisheit Gottes. Alles Wehen, Brausen, Stürmen, Säuseln und Hauchen kommt am Ende bei ihm zur Ruhe.
Autor: Cornelius Stiegemann
Dieser Artikel erschien zuerst auf www.erzbistum-paderborn.de
